Das Zeit- und Strafraum Kontinuum: 
Minute 48 – Fussballeuropa der Regionen, ein Planspiel (Teil 2)

Was bisher geschah:

Hier könnt ihr euch die bisherigen Einträge rund um die fünf Jungs, die vor dem Fernseher ein Fussballspiel verfolgen, lesen. Nun aber viel Spaß mit der aktuellen Ausgabe:


Die fünf Freunde reden sich in ihren Europa zersetzenden Planspielrausch.

Adelmann: „Südtirol, seit Jahren bestens funktionierende Kleinstregion Italiens, wird die Gelegenheit zum „Anschluss“ an Tirol, die sich durch den Zerfall anderer italienischer Regionen eigentlich ergab, nicht nutzen. Es wird einen eigenen Kleinststaat ausrufen. Hauptsächlich deshalb, weil Österreich wegen dem Wegbrechen der Steiermark und Kärntens – aber noch nicht Krains, das trotz Bestrebungen eines Zusammenschlusses des alten Herzogtums Steiermark, Kärnten und Krain wegen des von den Krainern als sinnlose angesehenen Großstaatdenkens Sloweniens noch slowenisch bleiben wird müssen – auf einen kleinen mitteleuropäischen Streifen zusammengeschrumpft ist, der in den Augen Südtirols keinen Zusammenschluss wert ist. Den Vereinen wird das nur zugutekommen, da sie sich lokalen Derbys widmen können und endlich keinem europäischen Konkurrenzkampf mehr ausgeliefert sein werden. Sturm gegen Wolfsberg wird ein Klassiker werden.“

Schwarz: „Die ethnischen Ungarn Rumäniens, die meist in vormalig deutsch bewohnten Gebieten in Siebenbürgen zu Hause sind und sich speziell im Szeklerland ballen, werden zurück zu Ungarn wollen. Sie hatten schon lange ihr nach dem Ersten Weltkrieg zerfallenes Großungarn vermisst, das als Teil des Habsburgerreiches immerhin wirkliche Größe besessen hatte, zumindest auf der Karte. Politisch und wirtschaftlich ist es einem – so der nostalgische Blick in die Vergangenheit – damals eindeutig besser ergangen, ist man doch zu einem großen mitteleuropäischen Konglomerat zusammengeführt worden und nicht zu einem aus Brüssel diktierten, gekünstelten, gesamteuropäischen Zusammenschluss. Durch eine großungarische Liga wird man, so der Glaube der Szeker, auch wieder eine große ungarische Nationalmannschaft stellen können, auch wenn man sich nicht mehr sicher sein kann, wie lange auf europäischem Boden Nationalmannschaften noch gegeneinander antreten werden können, da aufgrund des Zerfallsprozesses der UEFA auch die FIFA ins Wanken geraten wird.“

Sturm gegen Wolfsberg wird ein Klassiker werden.

Inzwischen spielt sich auf dem Fernsehbildschirm eine inhaltsleere Minute ab, in der eine der beiden Mannschaften den Ball gekonnt in ihren Reihen hält, ohne jedoch den Pass in die Tiefe zu suchen.

Stegisch: „Derweilen wird Deutschland in hunderte autonome Regionen zerfallen. Zwar werden sie sich nicht mehr wie früher König-, Fürsten-, oder Herzogtümer nennen, aber die innen- und außenpolitische Ausrichtung werden sie ganz nach dem Vorbild des kleinräumigen Deutschlands von vor 1870 gestalten – inklusive eigener Maß,- Münz-, und Gewichtssysteme. Das wird Wirtschaftstreibende und Händler zwar etwas aufreiben, aber die Identität der Regionen werden einen echten Boost erfahren. Das wird sich auf die Vereine übertragen: echte lokale Identität. Fans werden ihre Fanzugehörigkeit nie mehr wechseln, auch deshalb weil die Hessisch-Kassel-Liga, die Sachsen-Liga, die Bayern-Liga, die Württembergische-Liga, die Hannover-Liga, die Brandenburg-Liga, die Preussen-Liga, die Mecklenburg-Vorpommern-Liga u.v.m. eigene Regelwerke einführen werden, sodass ein Spiel mit anderen deutschen Vereinen endlich nicht mehr möglich sein wird.“

Troissler: „Vor allem die Hessisch-Kassel-Liga wird interessant werden, da hier ein Spiel ohne Ball eingeführt werden wird. Die Bewohner, die sich nach wie vor als Deutsche fühlen werden, werden in Massen auswandern. Vorwiegend in Gebiete, die bereits im Mittelalter und der frühen Neuzeit von Deutschen besiedelt wurden, von wo sie aber nach dem Zweiten Weltkrieg vertrieben worden waren. Deutsche Ballungsräume werden entlang der Wolga und Donau entstehen, wobei vor allem die in Ungarn und Rumänien siedelnden ‘Donauschwaben’ ihrerseits die Unabhängigkeit anstreben werden, da man sich von Ungarn und Rumänien unterdrückt fühlen wird. Als eine der ersten Maßnahmen gründen Sie die ‘Donauschwaben-Liga’, zu Beginn allerdings noch ohne Vereine. Die werden erst gegründet werden müssen. Insgesamt wird das den deutschen Vereinen, in welcher Liga sie auch immer spielen werden, freilich zugutekommen, da sie sich lokalen Derbys widmen können und endlich keinem europäischen Konkurrenzkampf mehr ausgeliefert sein werden.“

Brüssel wird Sitz der Vereinten Fussballnationen von Europa

Adelmann: „Das vormals von Deutschen und Slawen bewohnte Oberschlesien, das bis vor kurzem noch großteils in Polen, sowie in Deutschland und Tschechien lag, wird seine Unabhängigkeit ausrufen, da sich die Schlesier weder als Polen, Tschechen noch als Deutsche fühlen. Sie, im Zentrum Europas gelegen, werden sich aber nicht in vergangener Legitimation verlieren. Oberschlesien wird sich neu erfinden und sich als „Herz Europas“ positionieren. Es wird vor allem durch Zuwanderung Menschen ins Land bringen, damit – demographisch gestärkt – das „Herz Europas“ auch zum „Fußballmotor“ Mitteleuropas heranwachsen werden kann. Diese Mitteleuropaliga wird daher vorwiegend mit brasilianischen und afrikanischen Spielern besetzt werden. Den Vereinen und Fans wird das nur zugutekommen, da sie bei lokalen Derbys Weltstars beobachten werden können .“

Posch: „Die niederländisch-flämischsprachigen Flandern Belgiens werden sich endlich von ihrer Hauptstadt Brüssel lossagen, ohne jedoch ihrer europäischen Hauptstadt der Union – also Brüssel – den Rücken zu kehren. Denn Brüssel, darin sind sich die Flandern nach der Auflösung des schweizerischen UEFA-FIFA-Komplexes einig, wird Sitz einer Art „europäischen Fußballgemeinschaft“, einer „Europäischen Fußballunion“ oder besser den „Vereinten Fussballnationen von Europa“ werden müssen. Vor allem weil man den europäischen Konkurrenzkampf vermissen wird.“

Nun sind die fünf Freunde erschöpft. Das Planspiel, obwohl stark übertrieben, regt sie zum Nachdenken an – nicht nur über den Fußball.

Ihre Blicke richten sich wieder auf den Fernseher. Das Spiel nimmt Fahrt auf.

© spielfrei.at

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