Christian Ilzer
„Mit Schubladendenken kann ich nichts anfangen.“

Im Monat März wollen wir uns bei Spielfrei etwas genauer mit Trainern auseinandersetzen. Nachdem uns Petru Ciochirca im großen Schiedsrichter-Interview bereits über die taktischen Raffinessen von Christian Ilzer erzählt hat, wollten wir beim gebürtigen Pucher mal etwas genauer nachhaken. Vor dem Start in die heurige Frühlingssaison haben wir uns mit Christian im Stadion seines Vereins in Hartberg getroffen, um über seine Transition vom Spieler zum Trainer, das Interesse des SK Sturm und über verschiedene Trainer- und Spielertypen zu sprechen. Außerdem wollten wir wissen, was taktisch aktuell angesagt ist bzw. was in nächster Zeit auf uns zukommen wird.

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Wie bist du zum Fussball gekommen?

In der Straße,  in der ich aufgewachsen bin, wohnte Karl Purkarthofer, den alle den Happel von Harl nannten (Anm.: Harl gehört zu Puch bei Weiz, Christians Heimatort). Er hat ständig Sportevents, zum Beispiel Schirennen, organisiert. Als er dann auch eine Nachwuchsfussballmannschaft gründete, habe ich mich gleich zum Mitspielen überreden lassen. Meine Eltern waren ursprünglich dagegen. Vor allem mein Vater, der selbst Fussball gespielt hat, war der Meinung, dass es viel zu gefährlich sei und ich lieber Tennis spielen sollte (lacht). Aber ich konnte von meinem Haus aus direkt auf den Fussballplatz sehen und wollte dort unbedingt dabei sein. Irgendwann haben meine Eltern dann zugestimmt, da war ich ungefähr sieben Jahre alt. Seitdem bin ich in den Sport verliebt. Mein absoluter Traum war es es, Profi zu werden und ich war auch bereit, extrem viel dafür zu opfern. Mit sechzehn Jahren hätte ich dann zu Pöllau in die Regionalliga wechseln sollen. Nachdem es mir aber sehr wichtig war, das Schuljahr ordentlich zu beenden, wollte ich diesen Schritt erst im Sommer machen. Leider habe ich mir dann das Kreuzband gerissen, danach folgten etliche weitere Verletzungen. Mir ist danach relativ bald klar geworden, dass aus der Profikarriere womöglich doch nichts werden würde. Daher brauchte ich einen “Plan B”. Zuerst habe ich ein Medizinstudium begonnen, nachdem das aber mit zu wenig Bewegung verbunden war, habe ich schließlich Sportwissenschaften studiert.

Warum glaubst du, ist Fussball die beliebteste Sportart der Welt?
Weil man abgesehen von einem Ball eigentlich keine Ausrüstung braucht. Im Prinzip kann man auch mit einer leeren Flasche oder sonst irgendeinem Gegenstand herumkicken. Zwei Stangen als Tor und fertig. Außerdem ist der Sport einfach sehr populär, jeder kennt die weltbesten Spieler. Für die Jungen sind das natürlich oftmals Vorbilder. Außerdem kann man relativ schnell mitreden und man braucht keine detaillierten Regelkenntnisse, wie zum Beispiel beim American Football.

Stehplatz, Sitzplatz oder VIP?
Mittlerweile bin ich Fussballtrainer und nicht mehr “nur” Fan. Daher sitze ich gerne irgendwo, wo es etwas ruhiger ist und ich mich auf das Geschehen am Platz konzentrieren kann, obwohl ich die Emotionen rund ums Spiel sehr liebe.

Bist du immer am Arbeiten, wenn du dir ein Spiel ansiehst oder kannst du das auch manchmal genießen?
Ich kann meine Arbeit genießen (lacht). Aber hier und da kommt es schon vor, dass ich mich mit Freunden am Fussballplatz treffe und das Spiel nicht so sehr im Vordergrund steht.

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Die Vorbereitung mit deinem Team ist fast vorbei. Wie war das Trainingslager?
Das Trainingslager war toll, Catez (Anm.: Ort in Slowenien) dürfte wohl ein Geheimtipp sein. Mich haben Trainingslager weiter im Süden immer ein wenig gestört. Durch die vielen Sonnenstrahlen entsteht Frühlingsstimmung, wenn man dann wieder zurück ist, wird man mit der heimischen Kälte konfrontiert. In Catez war das Wetter gleich wie hier, aber wir hatten beheizte Trainingsplätze exklusiv für uns und das Hotel war auch gleich in der Nähe. Wir konnten unser komplettes Programm durchziehen und waren rundum zufrieden.

Das Titelrennen ist heuer sehr eng. Mit drei Punkten Rückstand seid ihr auf Platz fünf. Was ist noch drinnen?
Früher ging es in Hartberg eigentlich immer nur darum, die Klasse zu halten. Bruno Friesenbichler (Anm.: ehem. Hartberg Trainer, jetzt beim SC Weiz) war dann der Erste, dem das auf sportlichem Weg auch gelungen ist. Alle anderen sind nach dem Aufstieg in die 1. Liga sofort wieder abgestiegen. Dabei war der Kader immer gut, aber die Mannschaften der Liga sind einfach eng beieinander und die Spiele dadurch oft sehr knapp. Das ist jetzt ja nicht meine erste Saison in Hartberg, aber heuer haben wir im Rahmen unserer Möglichkeiten wirklich viel richtig gemacht, sind super in die Saison gestartet und haben einen überragenden Herbst gespielt. Würde ich jetzt sagen, dass es nach wie vor um den Klassenerhalt geht, wäre das wohl nicht sehr ehrlich. Wir sind vorne dabei und da wollen wir auch bleiben. Natürlich muss bei uns alles perfekt laufen, damit das möglich ist. Unsere Konkurrenten haben sich am Transfermarkt gut verstärkt, auch die Mannschaften hinter uns haben viel investiert. Durch die Aufstockung der Bundesliga auf zwölf Mannschaften, gibt es heuer zweieinhalb Aufsteiger, das will sich niemand entgehen lassen. Für uns war aber wichtig, dass wir am Transfermarkt nicht über unseren Verhältnissen agieren. Mit den bestehenden Mitteln wollen wir uns langsam an die Bundesliga herantasten. Es wird an einem Stadionprojekt mit Rasenheizung und einer neuen Nordtribüne gearbeitet und wir haben einen wirklich guten Nachwuchsleiter. Das Sportliche und die Infrastruktur sollen gleichermaßen wachsen. Wir werden heuer so lange wie möglich versuchen, vorne mitzuspielen. Abgesehen davon möchten wir aber nachhaltig wachsen, um uns als Top-Mannschaft in der 1. Liga zu etablieren. Meiner Meinung nach wird die Bundesliga in absehbarer Zeit auf vierzehn oder sogar sechzehn Mannschaften aufgestockt, dann wollen wir bereit sein.

Also ist der Aufstieg in die Bundesliga aktuell kein Thema?
Naja, freiwillig würden wir einen Aufstiegsplatz nicht aufgeben, das ist klar!

Wie zufrieden bist du bisher mit deiner Leistung?
Als Trainer trifft man Tag für Tag tausende Entscheidungen. Viele davon habe ich gut getroffen, immer wieder mal war auch eine falsche dabei. Aber ich bin als Trainer natürlich noch lange nicht da, wo ich gerne sein möchte. Der Job ist sehr vielfältig und ich möchte in allen Bereichen noch weiter wachsen und mich weiterentwickeln.

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Wann hast du die Entscheidung getroffen, Fussballtrainer zu werden? War das gleich nach deiner Verletzung?
Ja, schon. Der große Traum von der Fussballerkarriere ist mit achtzehn oder neunzehn Jahren geplatzt, das war nicht einfach. Nachdem ich die HTL in Weiz abgeschlossen hatte, konnte ich bei den Pichler Werken (Anm.: ehem. Energieunternehmen) anfangen. Darüber haben sich vor allem meine Eltern gefreut. Sie kommen aus einfachen Verhältnissen, ein gut abgesicherter Job ist da natürlich immer etwas Besonderes. Aber ich war damit nicht zufrieden und wollte eben Fussballtrainer werden. Da haben sie nur den Kopf geschüttelt. Ich habe dann alles auf eine Karte gesetzt, begonnen Sportwissenschaften zu studieren und zusätzlich im LAZ (Anm.: Landesausbildungszentrum) bzw. hier in Hartberg zu trainieren. Zusätzlich habe ich noch die Mannschaften der Schülerliga trainiert. Das waren jeden Tag fünf bis sechs Einheiten. Außerdem habe ich jede Chance zum Hospitieren genutzt. Ich war bei Arsenal, PSG und Bayern München, aber auch bei kleineren Vereinen. Wenn sich ein Trainer auch nicht sofort zurückgemeldet hat, bin ich immer drangeblieben und war sehr hartnäckig. Danach war ich zwei Jahre beim ÖFB und habe im Rahmen von Projekt12 meine Spieler betreut. Nachdem klar war, dass ich Trainer werden wollte, habe ich einfach versucht, jede sich auftuende Chance zu nutzen. Mir war dabei auch wichtig, alle Stationen zu durchlaufen: von der U8 über Nachwuchs-Nationalteams bis hin zum Co-Trainer von Kampfmannschaften. Von erfahrenen Trainerkollegen wie Bruno Friesenbichler oder Heimo Pfeiffenberger konnte ich dabei vieles lernen. Gerade bei so “kleinen” Vereinen wie Hartberg, wo man nicht für jeden Bereich einen eigenen Trainer hat, kann man sich als Co-Trainer gut einbringen. Ich durfte mich um die Fitness kümmern und habe Videoanalysen gemacht. Durch das große Vertrauen, das Bruno in mich hatte, konnte ich viele Dinge ausprobieren. Parallel dazu habe ich aber auch gemerkt, dass es mich sehr reizen würden, einmal die Hauptverantwortung zu übernehmen.

Vergangenen Herbst wurdest du als Trainerkandidat bei Sturm gehandelt. War da etwas dran?
Günter Kreissl (Anm. Geschäftsführer des SK Sturm) und ich kennen uns von der gemeinsamen Zeit bei Wiener Neustadt. Dass ich nach einem halben Jahr als Cheftrainer von Hartberg gleich als Kandidat bei Sturm im Gespräch bin, sehe ich als Auszeichnung für meine Arbeit. Aber ich verfüge aktuell noch über keine UEFA-Pro-Lizenz. Wenn alles gut geht, kann ich mit der Ausbildung dafür im Sommer beginnen. Außerdem hatte Günter berechtigterweise ein wenig Bedenken, was meine Erfahrung betrifft.

Stichwort Lizenz: Wie läuft so eine Trainerausbildung eigentlich ab? Du verfügst aktuell ja über die A-Lizenz, oder?
Ja, ich habe noch die alte A-Lizenz, ich darf also Mannschaften bis zur 1. Liga trainieren. Vor einigen Jahren gab es eine Reform, weswegen die neue A-Lizenz nur zum Trainieren von Regionalliga-Teams berechtigt. Für die Pro-Lizenz gibt es alle zwei Jahre einen Kurs für zehn Teilnehmer, jeweils zwei zusätzliche dürfen die Bundesliga und der ÖFB nominieren. Für die Teilnahme am Kurs gibt es einige Voraussetzungen. Neben einer mindestens einjährigen Tätigkeit als Cheftrainer ab der vierten Leistungsstufe aufwärts gibt es noch vier weitere Bereiche, in denen man jeweils Punkte sammeln kann: die persönliche Spielerkarriere, das Zeugnis der A-Lizenz, die Bewertung der bisherigen Trainerkarriere und eine Potenzialanalyse.

Inwiefern ändert sich als Trainer die Tätigkeit? Gerade in den ersten Altersstufen ist man doch eher Pädagoge, oder?
Pädagoge muss man immer sein, ich trainiere ja auch erwachsene Kinder (lacht). Aber es ist schon so, dass die Methodik im Nachwuchs ein wenig anders ist. Gerade den Altersbereich von sechzehn bis siebzehn habe ich sehr spannend gefunden. Da kann es passieren, dass man beim ein oder anderen überhaupt nicht durchdringt und auf “Null Bock”-Mentalität stößt. Aber wenn es doch gelingt, entwickelt sich eine unglaubliche Dynamik.

Guardiola, Klopp oder Alegri? Welcher Trainertyp gefällt dir am besten?
Alegri am wenigsten, die anderen sind zwar sehr unterschiedlich, aber da gefallen mir beide. Ich habe mir keine Glatze geschnitten, weil ich den Guardiola verehre, aber im Gesamtbild sagt er mir sehr zu. Das gilt aber auch für Klopp.

Was zeichnet sie aus?
Sie haben einen klaren Kommunikationsstil, sind sehr präsent, haben eine klare Spielidee und wissen, wie sie ihre Mannschaften strategisch zusammenstellen müssen.

Und wie würdest du den Trainertypen Christian Ilzer beschreiben?
Auf jeden Fall als Perfektionisten, der klare Vorstellungen und viel Leidenschaft hat und kein Laptoptrainer ist (lacht).

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Man hört immer wieder, dass du taktisch sehr versiert bist und zu unkonventionellen Mitteln greifst. Woher kommt das?
Ich habe bereits als Kind sehr gerne Strategiespiele gespielt und den Wettkampf immer schon geliebt. Mein Cousin und ich waren sehr kreative Kinder, wir haben da sicher von unseren Eltern das ein oder andere mitbekommen. Mathematik hat mir zum Beispiel auch immer sehr viel Spaß gemacht.

Mit welchen Spielertypen arbeitest du lieber zusammen? Mit akribischen Arbeitern wie z.B. einem Joshua Kimmich oder mit Freigeistern wie Franck Ribery?
Wichtig ist es, dass man unterschiedliche Spielertypen hat. Arbeitertypen, die immer alles genau erklärt haben wollen und sehr genau sind in dem, was sie tun, gefallen mir natürlich. Aber es braucht auch kantige Typen, die Spaß reinbringen. Diese verschiedenen Charaktere zu vereinen ist nicht immer einfach, aber das sehe ich als meine Aufgabe.

Mario Basler hat erst unlängst in einer Ausgabe von “Doppelpass” angeprangert, dass Fussballer in Akademien schon beinahe “gezüchtet” werden und Spieler mit Ecken und Kanten auf der Strecke bleiben. Siehst du das auch so?
Ich glaube, dass in den österreichischen Akademien extrem gute Arbeit geleistet wird, unsere Nachwuchs-Nationalteams liefern ja auch regelmäßig Top-Ergebnisse ab. Aber man sollte natürlich schon aufpassen, dass kein Einheitsbrei produziert wird. Aus meiner Sicht ist es wichtig, dass Spieler nicht zu früh in eine Richtung gedrängt werden und ihren eigenen Weg gehen können. Daher freut es mich, wenn ich einen Spieler finde, der mit achtzehn oder neunzehn noch „naturbelassen“ und kein ganz fertiger Spieler ist. So jemanden kannst du als Trainer noch ein wenig formen. Wir haben erst kürzlich einen Spieler aus der zweitniedrigsten Liga verpflichtet. Er ist mir aufgefallen, weil er jedes Jahr vierzig Tore geschossen hat. Natürlich können wir ihn nicht sofort in der 1. Liga einsetzen, aber er hat auf jeden Fall etwas Besonderes.

Wie viel Autorität braucht ein Trainer? Muss man Vorgesetzter oder Freund sein?
Als Trainer braucht man verschiedene Gesichter. Es gibt Tage, an denen bin ich der Freund, an anderen bin ich autoritär. Es braucht schon viel Respekt, damit Ideen auch angenommen werden. Diese müssen sich in den Köpfen der Spieler festsetzen.

Wie schafft man das?
Man braucht verschiedene Zugänge zu den Spielern. Wenn man immer das Gleiche macht, wird es schwierig. Ich habe klare Vorstellungen, wie das Training, die Spielidee und die Spiele aufgebaut sind. Außerdem ist ein gutes Gespür für die Spieler wichtig. Man muss erkennen, wenn jemand überreizt ist oder den Kopf einfach voll hat. Dann musst du einen Schritt zurückgehen und wieder einfache Dinge üben. Ein Maßstab guter Arbeit ist für mich, dass sich meine Ideen innerhalb einer Mannschaft im Laufe eines Jahres manifestieren.

Du hast vorhin zwar gesagt, dass du kein “Laptoptrainer” bist, aber medial wirst du immer wieder so dargestellt. Sind heutzutage nicht ohnehin alle Trainer “Laptoptrainer”?
Der Begriff ist sicherlich überstrapaziert. Wenn man sagt, dass zum Beispiel der Baumeister (Anm.: Ernst Baumeister, Trainer bei Admira Wacker) ein Trainer mit viel Erfahrung und Gespür ist und im Gegensatz dazu jemand anderer ein Konzepttrainer, dann ist das gegenüber Ernst Baumeister sehr despektierlich. Man kann ja nicht behaupten, dass er kein Konzept und keinen klaren Plan hat. Wenn ein Laptop ein Arbeitsmittel ist, mit dem ich mich wohl fühle, dann werde ich ihn verwenden. Wenn mir Stift und Block lieber sind, dann ist das auch okay. Mit Schubladendenken kann ich jedenfalls nichts anfangen.

Gibt es irgendwelche speziellen technischen Hilfsmittel, die du im Trainingsalltag verwendest?
Wenn etwas einen Mehrwert für das Training  liefert und im Rahmen unserer finanziellen Möglichkeiten liegt, dann versuchen wir das auch einzusetzen. Für das Trainingsmonitoring haben wir zum Beispiel Firstbeat im Einsatz, damit können wir sehen, wie intensiv die Trainings für unsere Spieler waren. Im Analysebereich verwenden wir spezielle Software und greifen auf Videodatenbanken zurück. Zur Aufarbeitung unserer Spiele verwenden wir zusätzlich auch quantitative Daten. Mir ist wichtig, dass die Leistung der Spieler sehr transparent ist.

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Muss ein Trainer ein guter Fussballer sein?
Es ist auf jeden Fall von Vorteil, eine Sportart sehr intensiv und auf höchstem Niveau erfahren zu haben. Zwingend notwendig ist es nicht, ich selbst hatte ja auch keine große Spielerkarriere. Aber ich habe irrsinnig viele Stunden damit verbracht, Spiele anzusehen und genauestens zu analysieren. Vor 10.000 Menschen im Stadion zu sein war für mich dann trotzdem neu, andere kennen das schon aus ihrer aktiven Karriere, ich musste diese Erfahrungen erst sammeln. Andererseits hatte ich Zeit, den Trainerberuf von der Pieke auf zu lernen.

Letztes Jahr gab es ein Comeback der Dreierkette. Was kommt in nächster Zeit taktisch auf uns zu?
Ja, ich habe auch mit Dreierkette gespielt. Aber ich glaube, dass mittlerweile wieder viele auf die Viererkette zurückgehen. Wobei das für mich nicht im Vordergrund steht. Im Herbst habe ich zwanzigmal die gleiche Grundordnung spielen lassen, taktisch war es aber immer ganz unterschiedlich ausgelegt. Außerdem ändert sich auch innerhalb eines Spiels immer einiges. Bei Ballbesitz spielen wir hinten zu dritt, verteidigen wir, stehen wir zu viert. Für mich ist das so am Ökonomischsten: Ich kann die Breite ausreichend abdecken und habe gleichzeitig eine gute Tiefenstaffelung. Diese Flexibilität versuche ich meiner Mannschaft step by step beizubringen. Die Grundordnung selbst ist nicht so wichtig. Ich habe Prinzipien, die von der Mannschaft erfüllt werden müssen. Hinsichtlich Trends glaube ich, dass vor allem die Geschwindigkeit des Spiels entscheidend sein wird, weil es auch ein Attraktivitätsmerkmal ist. Damit kann man die Zuseher begeistern. Außerdem versuche ich mich mehr auf Raumgewinn als auf Ballbesitz zu konzentrieren. Ich habe zum Beispiel eine Harakiri-System, bei dem ich nur zwei Verteidiger spielen lasse.

Wie kann man sich das vorstellen?
Zwei Innenverteidiger, davor einen Sechser, die restliche Mannschaft geht sternförmig auf Raumgewinn. Innerhalb dieses Sterns wird versucht, den Ball zu halten, das hat mit herkömmlichen Grundordnungen nichts mehr zu tun. Natürlich kommt das nur in Ausnahmen zum Einsatz, aber immer mit Plan dahinter. Mir ist ein attraktives Spiel einfach sehr wichtig, ich gewinne lieber 4:3 als 1:0.

Was unterscheidet den österreichischen vom internationalen Topfussball?
Wenn man sich Woche für Woche auf extrem hohen Level misst, dann reizt das noch viel mehr aus. Dadurch wird man natürlich ein besserer Spieler, aber auch das Umfeld nimmt eine wichtige Rolle ein. Würde Salzburg gegen Sturm vor 30.000 Zuschauern spielen und mit sechzehn Kameras abgefilmt werden, wäre das Ganze sicher noch viel interessanter.

Salzburg hat die Partie zum Frühjahrsauftakt vor ungefähr 4.000 Zusehern gespielt. Was braucht es denn, damit zum Beispiel gegen Sturm auch die restlichen 26.000 ins Stadion kommen?
Mit Wiener Neustadt und dem WAC habe ich ja auch einige Spiele im Salzburger Stadion gespielt. Es ist schon ein wenig seltsam, wenn man beim Umschalten der Banden das Klatschen im ganzen Stadion hört. Aber ich denke, dass man endlich aufhören muss, unseren Fussball ständig schlecht zu reden und stattdessen versuchen sollte, ihn besser zu verkaufen. Natürlich muss man dann auch so spielen, dass die Begeisterung der Zuseher geweckt wird. Wenn man es in Graz mit seinen insgesamt 360.000 Einwohnern nicht schafft, 10.000 davon ins Stadion zu bringen, muss man nach den Gründen dafür fragen. Ich denke, man muss rundherum ein Erlebnis bieten, ein richtiges Event mit Fussball im Mittelpunkt. Danach noch etwas essen, in eine Bar oder eine Disco gehen – das muss alles an einem Platz sein, wo was los ist. Der Tag beginnt mit einem geilen Fussballspiel und endet mit einer riesigen Party.

In Graz versucht man, die Leute nach dem Spiel so schnell wie möglich vom Stadion weg zu bringen.
Die müssen dort bleiben! Bruno (Anm.: Friesenbichler) hat mir vor Jahren einmal erzählt, dass es in Lustenau hinter dem Stadion das “Austria Lustenau Dorf” gab. Da waren im Stadion 10.000 Leute und dahinter nochmal so viele. Leider musste damit aufgehört werden, weil sich die Anrainer aufgeregt haben, aber es war eine Riesenparty. Das ist jetzt mittlerweile zwanzig Jahre her, aber die Leute reden immer noch davon. So kommen vielleicht auch Leute, die wegen dem Spiel alleine nicht da wären.

Welche Ziele hast du dir für deine Trainerkarriere noch gesteckt?
Das kann eines der größten Jahre in der Geschichte von Hartberg werden, da möchte ich dabei sein. Ansonsten habe ich großen Hunger mich weiterzuentwickeln, das macht mir einfach am meisten Spaß. Noch mehr über das Spiel zu erfahren, in meiner Kommunikation noch stärker zu werden, Spieler besser zu verstehen und zu wissen, in welchem Moment ich welche Skills einsätzen muss, das gefällt mir. Wo ich hin will, bin ich noch lange nicht, aber der Weg treibt mich an.

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