Nach dem äußerst interessanten Interview mit Viktoria Schnaderbeck haben sich Stefan Adelmann und Alexander Stegisch für das nächste Spielfrei Interview mit zwei Schiedsrichtern getroffen. Petru Ciochirca, 28 Jahre und damit jüngster Bundesliga Schiedsrichter, sowie Edin Kudic, 22 Jahre, im ÖFB-Talentkader und ebenfalls auf dem Weg, als Assistent in der Bundesliga Fuß zu fassen.
Haben wir uns in unserer aktuellen Podcast Episode noch mehr mit der Geschichte der Schiedsrichterei und den technischen Hilfsmitteln auseinander gesetzt, wollten wir nun noch etwas tiefgründiger werden und uns uA mit dem Grund, warum man überhaupt Schiedsrichter werden will und den psychologischen Aspekten des Spiels beschäftigen. Viel Spaß beim Lesen!
Wie seid ihr zum Fußball gekommen?
Petru: Das war 1997 in Rumänien, ich bin dort auch geboren. Mein Großvater hat mich zu Dinamo gegen Steaua Bukarest ins Stadion mitgenommen. Das war in unmittelbarer Nähe vom Haus meiner Mutter. Ich weiß bis heute nicht, wie es dazu gekommen ist, weil meine Familie mit Fußball wenig Kontakt hatte. Die Begeisterung zum Fußball teile ich gänzlich allein. Meine Familie interessiert sich eher für Rugby und andere Sportarten.
Edin: Ich komme eher aus einer fußballfanatischen Familie. Mein Papa und mein Bruder haben auch immer Fußball gespielt. 2002 bin ich nach Österreich gekommen, davor war ich in Bosnien und hatte mit Fußball noch nichts zu tun. Als ich dann hier war, habe ich bei einem Verein angefangen. Ich wollte schnell in höheren Ligen spielen, was leider nicht ganz geklappt hat. Zufällig bin ich auf eine Werbung zum Schiedsrichten aufmerksam geworden und habe mich dann zur Ausbildung angemeldet und bin jetzt seit sechs Jahren dabei.
Petru, hast du auch aktiv Fußball gespielt?
Petru: Ich habe kurz beim Grazer Sportclub gespielt, aber höchstens ein Jahr. Über einen Schulfreund bin ich dann zu den Giants gestoßen und war einige Zeit im American Football aktiv. Mit dem Fußballspielen selbst hatte ich aber immer relativ wenig zu tun.
Warum glaubt ihr, ist Fußball die beliebteste Sportart der Welt?
Petru: Ich glaube, es liegt daran, dass man zum Loslegen nichts Besonderes braucht. Alle Utensilien, um diese Sportart auszuüben, findet man an jeder Straßenecke. Wenn wir aus diesem Café rausgehen und eine leere Flasche nehmen, können wir schon Fußball spielen. Als Tor nehmen wir einen Zaun, das reicht.
Das wäre zum Beispiel im Basketball schwieriger.
Petru: Da bräuchte man zumindest einen Ball, der päppelt.
Edin, warum kommt Fußball deiner Meinung nach so gut an?
Edin: Ich verfolge ziemlich viele Sportarten, aber im Fußball sind die größten Emotionen. Wie Petru schon sagte, wir haben, als wir jung waren, im Park gespielt und einfach eine Flasche mit Wasser angefüllt, Tore aus Kieselsteinen gemacht, drauf los geschossen und Spaß gehabt. Bei anderen Sportarten wie American Football bräuchte man viel mehr Ausrüstung, sonst ist die Verletzungsgefahr viel zu hoch.
Stehplatz, Sitzplatz oder VIP?
Petru: Ich versuche so oft es möglich ist zuhause in Graz ins Stadion zu gehen. Zudem verbinde ich in den Länderspielpausen manchmal auch einen Urlaub mit einem Stadionbesuch. Der Platz in den jeweiligen Stadien ist völlig egal, wichtig ist mir, dass ich gute Einsicht auf das Spielfeld habe. VIP-Klubs bzw. Gratis-Essen brauche ich nicht, die Sichtqualität von meinem Standort aus ist entscheidend.
Also ist der Stadionbesuch für dich eher Training bzw. Fortbildung? Oder kannst du auch mal abschalten?
Petru: Natürlich versuche ich auch abzuschalten, aber ich scheitere jedes Mal kläglich daran. Ich konzentriere mich immer ganz automatisch auf den Schiedsrichter. Letztens habe ich in Maribor das Champions League Spiel gegen Liverpool gesehen. Zuerst habe ich versucht mich auf das Taktikverhalten der beiden Mannschaften zu konzentrieren, um vielleicht neue Möglichkeiten und Laufwege für mich zu erkennen. Kreieren andere Mannschaften dann ähnliche Spielsituationen, kann ich das für mich mitnehmen. Aber ich habe dann automatisch auf den Aytekin (Anm.: Deniz Aytekin, Schiedsrichter der Begegnung) geschaut. Er hat eine unglaubliche Persönlichkeit und Kommunikation. Und wenn mir etwas gefällt, dann schaue ich erst recht genau drauf. Im Stadion kann man solche Sachen viel besser beobachten.
Edin: Wenn man als Schiedsrichter ins Stadion geht, ist das natürlich nicht wie bei einem neutralen Zuschauer. Nachdem ich in den höheren Klassen als Assistent tätig bin, konzentriere ich mich oft 90 Minuten auf den Assistenten und schaue, was ich mir da mitnehmen kann. Wenn ich mit meiner Freundin oder mit Freunden im Stadion bin, fragen sie mich oft, ob ich mir das Spiel überhaupt ansehe. Mein Blick ist oft nur auf die Schiedsrichter gerichtet, ob ich dabei stehe oder sitze ist mir egal.
Was macht man, wenn man Schiedsrichter werden will?
Edin: Es gibt im Internet viel Werbung dafür, man kann sich zum Beispiel auf www.schiri.at anmelden. In der Steiermark gab es kürzlich auch eine große Werbeaktion “Kein Spiel ohne Schiedsrichter”. Ich bin eben auch durch so eine Aktion dazu gekommen und hab mich dann angemeldet. Die Infos zu den Ausbildungsterminen gab’s dann per Mail.
Wie umfangreich ist die erste Ausbildungswelle?
Edin: Die Theorieeinheiten dauern etwa eine Woche, auf der praktischen Seite gibt es einen Lauftest. Wenn man die Abschlussprüfung positiv absolviert, ist man Schiedsrichteranwärter. In weiterer Folge wird man in Jugendspielen besetzt. Danach kommt es zu einer Besetzung in der 1. Klasse. Dabei wird beurteilt, ob man für die Kampfmannschaft geeignet ist.
Man wird also gleich ins kalte Wasser geworfen?
Petru: Es beginnt mit U11 Spielen, weil das Tempo nicht so hoch ist. Man amtiert eher wie ein Kindergartenbetreuer oder Schullehrer und versucht unterstützend dabei zu sein. Es bleibt genug Zeit, um in das erlernte Regelwerk hineinzufinden. Außerdem wird man die ersten fünf bis zehn Spiele von anderen Schiedsrichtern aus der Region mitbetreut.
Wie alt muss man sein, um mit der Ausbildung zu beginnen?
Petru: Ab 15 Jahren geht es los, teilweise sogar ab 14. Wenn jemand körperlich noch nicht so präsent ist, wird es mit 14 eher schwierig, ist die Entwicklung schon etwas fortgeschritten, dann tut man sich ein wenig leichter.
Du hast vorhin schon kurz die pädagogische Seite von U11 Spielen angesprochen. Eltern bringen da auch eine besondere Würze rein, oder?
Petru: Definitiv. Wäre ich Trainer einer Jugendmannschaft, würde ich Eltern eindringlich raten, so viel Distanz zu wahren, dass man keinen Ton von ihnen am Platz hört. Für mich ist es das Schlimmste, wenn Eltern negativen Einfluss auf die Kinder ausüben und diese dadurch die Freude verlieren. Wenn die Kinder lieber den Pass zu ihrem besten Freund spielen möchten und nicht in die Gasse rein, weil die gerade offen ist, dann soll das so sein. Die Quintessenz für Kinderfußball ist ja der Spaß an der Bewegung. Geht der verloren, führt das zu gesellschaftlichen Problemen. Hier geht es nicht um Leistungssport. Die Kids sollen zusammen sein und sich bewegen, körperlich und motorisch etwas dazulernen. Es ist noch nicht soweit, aber bei meinen eigenen Kindern werde ich versuchen das besser zu machen.
Wann habt ihr für euch entschlossen Schiedsrichter zu werden? War das für euch so, wie wenn man davon träumt, Profifußballer zu werden? Oder war das eher eine rationale Entscheidung?
Edin: Mit der Zeit habe ich die Lust am Fußballspielen verloren, ich wollte mit dem Fußball aber unbedingt verbunden bleiben. Für eine Trainerkarriere fühlte ich mich zu jung und dann bin ich eben auf die Schiedsrichter-Werbung gestoßen. Als Kicker war ich immer ein Lausbub und habe mich oft mit den Schiedsrichtern angelegt. Ich wollte mir mal anschauen, wie die Situation von der anderen Seite betrachtet ist.
Die schwierigsten Schüler werden oftmals Lehrer.
Edin: Wenn man selbst mal Fußball gespielt hat, hat man sicher einen großen Vorteil.
Petru: Ich habe ja bereits mit 15 als Schiedsrichter angefangen. Für ein U11 Spiel hat man damals ca. 18 Euro bekommen. Wenn man an einem Wochenende drei Partien gepfiffen hat waren das 60 Euro, was für einen 15-Jährigen natürlich viel ist. Irgendwann ist das dann zur Passion geworden. Am Dienstag habe ich schon immer geschaut, wo ich am Wochenende pfeife. Ich habe dann auch ein gewisses Talent dafür entwickelt und bin gut vorangekommen. Mir wurde klar, dass ich hier in Sphären im Leistungssport eindringen kann, die sonst kaum möglich sind. Leistungssport ist ein absolutes Privileg, das merke ich Tag für Tag. Dieses Verständnis fehlt mir oft bei Profifußballern. Man kann etwas, das für viele nur ein Hobby ist, als Beruf ausüben. Auch wenn wir als Schiedsrichter nicht davon leben können, kommen wir an Orte, für die andere sehr viel Geld ausgeben müssen.
Gibt es auch Schiedsrichter, die selbst nie als Fußballer aktiv waren?
Petru: Gibt es natürlich. Aktiv Fußball gespielt zu haben ist aber hilfreich. Ich habe zwar selbst auch keine große fußballerische Vergangenheit hinter mir, aber zumindest eine leistungssportspezifische Vorprägung. Man versteht dann leichter, warum Spieler oft so emotional reagieren. Wenn ich eine Entscheidung treffe und diese für richtig halte, der Spieler aber nicht das kriegt, was er gerne haben möchte, dann führt das natürlich zu Emotionen. Wenn ich mir vorstellen kann, wie mein Gegenüber denkt, dann ist das vor allem beim Einstieg ins Schiedsrichtern ein großer Vorteil.
Wohin soll die Reise gehen? Was sind eure persönlichen Ziele?
Edin: Seit Mai 2017 bin ich im ÖFB Förderkader als Assistent tätig und Kandidat für einen Bundesliga Assistenten.
Was ist aktuell die höchste Klasse, die du leiten darfst?
Edin: Als Schiedsrichter ist das die Oberliga, als Assistent die Regionalliga. Mein nächster Schritt wäre also, es als Assistent in die zweite Liga zu schaffen. Im Talentekader wird entschieden, ob man eine Laufbahn als Schiedsrichter oder als Assistent einschlagen soll. Mein persönliches Ziel ist es so schnell wie möglich in die Bundesliga zu kommen.
Petru, wie schaut es da bei dir aus? Du bist ja schon etwas weiter.
Petru: Ja, ich bin glücklicherweise schon etwas weiter, aber auch ein wenig älter als Edin. Seit September des heurigen Jahres darf ich in der Bundesliga amtieren und leite morgen mein zweites Spiel (Anm.: am 02.12.2017 Mattersburg gegen LASK). In irgendeiner Form gibt es immer Träume, aber ich sehe das pragmatisch, als Hauptziel möchte ich mich mal in der Bundesliga etablieren. Ich will so viel Erfahrungen wie möglich sammeln, leider Gottes auch schlechte, die gehören auch dazu, wenn man Schiedsrichter ist. Aber die machen mich auch besser. Wenn man nach 90 Minuten rausgeht und sich denkt, dass das jetzt scheiße war, weil man vielleicht zwei Strafstoßsituationen falsch beurteilt hat, dann lernt man dadurch. In naher Zukunft wäre natürlich auch schön, wenn ich für eine internationale Karriere als Schiedsrichter in Frage käme. Die Träume zu einem Großereignis zu fahren sind natürlich da, aber wir haben seit 2008 keinen österreichischen Schiedsrichter mehr auf internationaler Bühne gesehen. Der Letzte war Konrad Plautz bei der Heim-EM. Das liegt natürlich nicht nur an der Leistung der Schiedsrichter, da gibt es auch sportpolitische Faktoren. Außerdem braucht man das Glück, zur richtigen Zeit den richtigen Beobachter zu haben. Die nächsten Großereignisse gehen sich zeitlich auch theoretisch nicht aus, selbst wenn ich bald international tätig bin, würde es frühestens 2030 möglich sein.
Aktuell hat Österreich keine Profi-Schiedsrichter. Soll sich das ändern? Wenn ja, wie kann der Weg dorthin aussehen?
Petru: Ich bin der Meinung, dass wir keine professionellen Schiedsrichter benötigen. Eine semiprofessionelle Lösung wäre aus meiner Sicht besser. Ich kann’s natürlich nur aus meiner Sicht beurteilen, aber ich gehe meiner Arbeit gerne nach. Wenn ich schlechte Leistungen als Schiedsrichter erbringe, erleichtert mein Beruf mir die Verarbeitung der Spiele. Ich habe dann zwischenzeitlich einen anderen Fokus. Wenn ich zum Beispiel am Samstag ein schlechtes Spiel hatte und ich mich von Sonntag bis Freitag nur mit dem auseinandersetze und das verarbeite, würde ich mir persönlich viel zu viel Druck auferlegen. Mir würde dann die Leichtigkeit fehlen. Wir könnten bessere Leistung erbringen, wenn sich das Umfeld im Schiedsrichterwesen professionalisieren würde. Individuelleres Training, veraltete Abläufe überdenken und so weiter. Natürlich muss man das Rad nicht neu erfinden, aber man kann schon gewisse Dinge hinterfragen. Um eine Beispiel zu nennen: Wir trainieren immer dienstags und donnerstags unter der Leitung eines vom ÖFB bezahlten Trainers, der auch über unsere Leistungsanalysen-Ergebnisse verfügt.
Kannst du kurz erklären, wer “wir” sind?
Petru: Wir sind alle Bundesligaschiedsrichter bzw. Assistenten, die in der Steiermark tätig sind. Zusätzlich kommen Talente wie Edin dazu. Dann gibt es noch einen steirischen Talentekader, der ebenfalls dabei ist. Wir trainieren bei 70-prozentiger Trainingsbeteiligung in der Bundesliga zweimal die Woche, obwohl alle unterschiedliche körperliche Verfassungen und Stärken haben. Ich könnte zum Beispiel kilometerlang laufen, aber mir fehlt es oftmals an Spritzigkeit. Daran können wir in der Gruppe aber nur schlecht arbeiten, weil andere, wie der Edin etwa, das nicht benötigen. Außerdem haben alle unterschiedliche Arbeitszeiten. Ich könnte es mir so einteilen, dass ich mittags trainiere, der Edin hat vielleicht in der Früh besser Zeit. Im Scouting kommen immer mehr technische Hilfsmittel und Plattformen zum Einsatz. Wenn wir hier ansetzen und beispielsweise im taktischen Bereich Mannschaften analysieren, dann würde mir das in meiner Positionierung sehr helfen, zumal ich dadurch in einem anderen Winkel zum Spielgeschehen stehe, weil ich weiß, wie sich eine Mannschaft im Spielaufbau verhält.
Das Regelwerk ist für Zuseher oft nicht ganz eindeutig (z.B. Abseits oder “Dreifachbestrafung”). Sollte man hier versuchen die Regeln einfacher und durchschaubarer zu gestalten oder wäre es besser die aktuell gültigen Regeln besser zu erklären?
Edin: Als Assistent kümmere ich mich natürlich hauptsächlich um Abseits. Ein Handspiel darf ich im Amateurbereich nicht entscheiden, das geht erst in der Bundesliga, wo ein Headset zum Einsatz kommt. Generell wäre es aber gut, wenn man gerade beim Handspiel eine klarere Linie finden würde. Hier gibt es viele Unterscheidungen zum Beispiel ob etwas strafbar ist oder nicht, die dem Zuschauer vielleicht oftmals nicht so klar sind.
Wie wird so ein Schiedsrichterteam zusammengestellt?
Petru: In der Bundesliga läuft das so, dass am Dienstag eine Vorbesetzung für die Schiedsrichter am übernächsten Wochenende bekanntgegeben wird, am Montag (Anm.: fünf Tage vor dem Wochenende) wird die Besetzung fixiert. Dieser Zyklus wird immer beibehalten. Bei der Zusammensetzung werden ein paar Dinge berücksichtigt. Ich darf zum Beispiel kein Spiel einer steirischen Mannschaft leiten, außer es spielen zwei steirische Mannschaften gegeneinander, dasselbe gilt für die Assistenten. Es kommt schon vor, dass man Spiele im selben Schiedsrichterteam leitet, es ist aber kein Regelfall. Besetzungen erfolgen aus dem Schiedsrichter-Pool.
Wie groß ist dieser Pool?
Petru: 20 Schiedsrichter und 30 Assistenten. Im Normalfall ist man nur an einem Spiel pro Wochenende beteiligt, im Ausnahmefall eventuell noch ein zweites Mal, dann aber als 4. Offizieller.
Wie viele Assistenten braucht das Spiel (Stichwort Torraumassistenten)?
Edin: Die zwei Assistenten, die sich um das Abseits kümmern, sind am wichtigsten. Natürlich ist es so, dass mehr Leute immer willkommen sind. Das heißt nicht, dass dadurch alle Entscheidungen richtig sind, aber drei Assistenten wären schon okay. Der vierte Offizielle ist insofern äußerst hilfreich, weil er sich um die Dinge kümmert, die außerhalb des Spielfelds passieren.
Petru, könntest du dir vorstellen, dass es so wie beim Eishockey mehrere “head referees” gibt? Vielleicht einen pro Hälfte?
Petru: Ich bezweifle, dass das Früchte tragen würde. Um auf eine eurer vorherigen Fragen zu kommen: Ich glaube, das Problem am Regelwerk ist, dass sich persönliche Präferenzen darin widerspiegeln. Wenn ein Schiedsrichter die körperbetonte Spielweise der Premiere League bevorzugt und dem anderen gefällt eher die taktisch ausgeprägte Serie A, dann amtieren am Spielfeld zwei völlig verschiedene Persönlichkeiten. An einem Strafraum wird jeder Körperkontakt sofort gepfiffen, am anderen wird kein Kontakt gepfiffen. Die Seiten ändern sich zwar, aber der Spielverlauf nicht. Dinge wie Ballbesitz gleichen sich in der zweiten Halbzeit ja nicht aus. Daher bin ich der Meinung, dass das schwierig ist. Im Futsal gibt es das ja. Da kann es auch vorkommen, dass zwei Schiedsrichter unterschiedliche Dinge pfeifen. Der eine beurteilt die Situation als Stürmerfoul, der andere als Verteidigerfoul, das könnte ein Nährboden für viele Probleme sein.
Was haltet ihr von technischen Hilfsmitteln wie dem Videobeweis oder der Torlinientechnik? Der Videobeweis soll ja in der Saison 2019/20 auch in Österreich eingeführt werden.
Petru: Jegliche Hilfe, die zu einem faireren Spiel beiträgt, damit die bessere Mannschaft gewinnt, ist zu begrüßen. Jeder Schiedsrichter, den ich persönlich kenne, sieht das auch so. Dass der Videobeweis in Österreich angedacht ist, ist zwar toll, aber man sieht in Deutschland zum Beispiel, dass das schon sehr viel Geld kostet und aktuell noch nicht gut funktioniert. Man muss klar abwägen, wie man den Videobeweis umsetzt und man sollte dem Zuschauer die Entscheidungsfindung klar kommunizieren. Viele sagen immer, dass dann keine Emotionen mehr entstehen werden, aber man sieht doch, dass es beim American Football, beim Basketball oder beim Eishockey auch funktioniert. Wenn sich jemand in der NBA kurz vor Spielende an einem Dreier versucht, zwei Punkte hinten ist und den Korb trifft, dann wird die Emotion auch weg sein, wenn der Ref den Korb nicht gibt, weil beim Ablauf der Zeit, der Ball noch an der Hand war. Wir müssen uns einfach umstellen. Angriff, Strafraum Entscheidung, Strafstoß ja oder nein, schneller Gegenangriff, Tor. Wenn sich dann herausstellt, dass es doch ein Strafstoß gewesen wäre, dann wird das Tor eben aberkannt. Da kann es dann eben vorkommen, dass man nicht 1:0 gewinnt, sondern 0:1 verliert.
Edin, siehst du das auch so?
Edin: Ich glaube auch, dass das kein Schiedsrichter ablehnen würde. Jedes technische Hilfsmittel ist willkommen, aber mit viel Geld verbunden. Es ist eher die Frage, ob man sich das leisten will, auch wenn’s nur ein Versuch für ein Jahr ist.
Petru, du hast vor kurzem als jüngster Schiedsrichter (28 Jahre) dein Debüt in Österreichs höchster Liga gefeiert. Wie war dieses Erlebnis für dich?
Petru: Meine Freundin hat das sehr treffend auf den Punkt gebracht: „Als ich mir das Spiel angeschaut habe, hast du so gewirkt, als hättest du gewusst, dass du dorthin gehörst.” Genauso ist es mir auch gegangen. Wenn ich mich an mein Debüt in der zweiten Liga erinnere, dann war das genau umgekehrt. Ich war unruhig und aufgeregt. Aber in Altach (Anm.: Spielort des Debüts) war es anders. Ich bin raus und hab mir gedacht, dass das jetzt mein Spielfeld ist und ich es genieße. Man weiß nie, ob es das erste oder vielleicht auch das letzte Spiel ist. Ich wollte die Emotionen, so gut es geht, aufnehmen und zeigen, was ich drauf habe, was an diesem Tag möglich ist. Es gibt auch Tage, wo nix geht, wo ich mich frage, warum ich Entscheidungen getroffen habe, die wohl nicht richtig sind. Altach konnte ich aber vom Anfang bis zum Ende genießen. Es war ein wirklich großer Spaß, und es haben auch alle Akteure mitgespielt. Wenn ich 22 Spieler am Feld habe, die es nicht mögen, wie ich das Spiel leite, dann kann ich nicht vom Feld runtergehen und mir selbst einreden, wie super ich war.
War es den Spielern bewusst, dass es dein erstes Spiel war?
Petru: Ja, das war einigen bewusst, auch die Resonanz war in Ordnung. Der Aigner (Anm.: Hannes Aigner, Altach Kapitän) ist zu mir gekommen und hat gesagt, dass er zwar einige Entscheidungen anders gesehen hat, es aber super mit mir war und ich so bleiben soll, wie ich bin. Das bestärkt mich natürlich.
Was muss passieren, damit ihr zufrieden vom Spielfeld runtergeht und was, damit ihr unzufrieden runtergeht?
Petru: Unzufriedenheit manifestiert sich natürlich dadurch, wenn man am Spielfeld schon weiß, dass man durch kleine Pfiffe das Spiel in die falschen Bahnen geleitet hat, also wenn es Entscheidungen wie Strafstöße oder rote Karten gab, die den Spielausgang beeinflusst haben.
Merkt man das schon während des Spiels?
Petru: Man hat’s im Gefühl.
Edin: Man merkt das und man versucht es auch zu vergessen, aber das ist ziemlich schwierig. Man muss versuchen sich wieder zu fangen, damit so etwas kein zweites Mal passiert.
Wie geht man damit um, dass man weiß, eine Fehlentscheidung getroffen zu haben?
Petru: In solchen Situationen benötigt man enorm viel Erfahrung, durch solche Situationen muss man immer wieder gegangen sein, um abschalten zu können. Wenn ich in der 4. Minute einen fälschlichen Strafstoß gebe, also noch 85 Minuten vor mir habe, muss ich das so schnell wie möglich analysieren. Warum ist das passiert? Hatte ich einen Spieler vor mir, der mir die Sicht verstellt hat? Hätte ich mich mehr bewegen müssen? Das muss möglichst rasch abgehakt sein, denn je länger ich mich damit beschäftige, desto mehr schweift die Konzentration ab.
Wenn so eine Fehlentscheidung passiert, sucht man dann nach dem Spiel den Kontakt zur betroffenen Mannschaft bzw. zum Trainer?
Petru: Ich kann natürlich nur von mir sprechen, aber als ich zum Beispiel vor ca. eineinhalb Jahren ein Spiel in Linz geleitet habe, wusste ich hinterher sofort, dass ich wirklich schlecht war. Nach dem Spiel ist der Glasner (Anm.: Oliver Glasner, LASK Trainer) zu mir gekommen, um sich zu verabschieden. Ich habe mich dann bei ihm entschuldigt, weil einige Entscheidungen falsch waren. Mir war zwar nicht bewusst, was ich dadurch bewirkt habe, aber im Nachhinein hat es sich als richtig herausgestellt. In einem Interview wurde er auf die Fehlentscheidungen angesprochen und hat geantwortet, dass ich mich bei ihm entschuldigt habe und für ihn das damit erledigt ist. Vielleicht gibt es auch andere Trainer, die darauf keinen Wert legen und einfach nur wollen, dass ich meine Entscheidungen richtig treffe. In diesem Fall war’s richtig, aber man kann das im Fußball pauschal nie sagen. Mit einem Spieler ist man per Du, mit dem anderen per Sie. Damit muss man umgehen. Zur Nummer zehn sage ich “Gehen Sie zwei Meter zurück”, zur Nummer neun “Komm, geh noch ein paar Schritte zurück”. Den Einen kann ich beim Freistoß auf die gute Distanz hinweisen, dem anderen sage ich, dass er auf den Pfiff warten soll. Das kommt eben auf die Situation, die Spieler und natürlich die Tagesverfassung an.
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