Fussball ist… 
Andrea Pirlo

In Würde altern dürfen in unserer Gesellschaft eigentlich nur noch Käse und Wein. Diesen Satz las ich kürzlich in einer Tageszeitung und obwohl er mir zwar sehr gut gefällt, kann ich mich mit der Botschaft nicht ganz anfreunden. Einerseits ist unsere Welt von Nostalgie befallen und wir halten an Altbewährtem fest. Andererseits herrscht ein Jugendwahn, gerade im Fussball gilt man mit 40 bereits als Auslaufmodell. Es gibt aber immer wieder Sportler, die beweisen, dass sie gerade am Ende ihrer Karriere zu Höchstleistungen imstande sind. Einer von ihnen ist Andrea Pirlo. Der sympathische Italiener übertrifft sich in Sachen Coolness Jahr für Jahr. Dieser Tage hat er seine Karriere beendet.

Nachdem ich ihn das erste Mal spielen sah, wollte ich meinen Beruf wechseln

Pirlo war die Antithese zum modernen Fussballer: Er schoss kaum Tore, war nicht besonders athletisch und seine Laufleistung war de facto nicht vorhanden. Seine größte Gabe war seine Denkfähigkeit. Auf dem Feld wirkte er wie ein Schachspieler, der seinem Gegner mehrere Züge voraus war. Aber auch auf seine Mitspieler hatte er eine besondere Wirkung. Gennaro Gattuso, seines Zeichens Blutgrätscher, beschrieb seine erste Begegnung mit Pirlo mit den Worten: “Nachdem ich ihn das erste Mal spielen sah, wollte ich meinen Beruf wechseln”. Als neutraler Beobachter stellt sich die Frage, ob diese zwei Herren dieselbe Sportart betrieben haben, ohnehin nicht.

Auch abseits des Platzes merkte man ihm seine Kopflastigkeit an. Während Fussballspieler heutzutage mit Beginn ihrer Profikarriere, Mediencoaching sei dank, kritisches Denken (zumindest öffentlich) größtenteils ablehnen, schrieb Pirlo noch in seiner aktiven Zeit seine Biografie mit dem Titel “Ich denke, also spiele ich”. Seine Gedanken vor dem WM Finale 2006 fasst er darin so zusammen:

wenn es Gott wirklich gibt, dann konnte er wohl doch kein Franzose sein.

“Ich hob die Augen zum Himmel und bat um Unterstützung, denn wenn es Gott wirklich gibt, dann konnte er wohl doch kein Franzose sein. Ich atmete einmal tief durch. Ein langer Seufzer. Mein Seufzer, aber er hätte genauso gut von einem Arbeiter sein können, dessen Geld mal wieder nur knapp bis zum nächsten Ersten reicht, von einem reichen, dümmlichen Unternehmer, einer Lehrerin, einem Schüler, von den alten Emigranten, die uns in Deutschland nicht im Stich gelassen haben, von der Mailänder Signora oder von der Nutte am Eck. In diesem Moment war ich all diese Menschen. Ich weiß, es hört sich merkwürdig an, doch in ebenjenem Moment verstand ich, wie schön es war, Italiener zu sein, ein unglaubliches Privileg.”

Andrea Pirlo ist ein Italiener durch und durch, besonders die Liebe zum Wein hat es ihm angetan. Seit 2007 führt er sein eigenes Weingut und unterstreicht damit einmal mehr seine Coolness. Einen kühlen Kopf musste er auch am ende seiner Vertragslaufzeit beim AC Milan bewahren. Als er mit 32 Jahren aussortiert wurde, waren sich viele bereits sicher, dass das sein Karriereende bedeuten würde. Dass sein Reifeprozess doch noch nicht abgeschlossen war, durfte er glücklicherweise noch weitere vier Jahre bei Juventus zeigen. Vier Jahre, in denen er vier Meisterschaften holte, einmal den Cup und zweimal den Supercup und damit eindrucksvoll bewies, dass es noch zu früh für die Fussballpension war. Totgesagte leben länger. Jetzt wo seine aktive Zeit im Fussball vorbei ist, kann er sich endlich voll seinem Leben als Weinbauer hingeben und bleibt uns Fans zumindest in flüssiger Form erhalten.

Nachdem ich nun schon länger auf der Suche nach einem Motiv war, das mir helfen sollte, an der für mich so klaren, logischen Liebe zum Fussball auch Menschen teilhaben zu lassen, denen die romantische Seite des Spiels bisher verschlossen blieb, hoffe ich, dass mir der alternde Italiener dabei hilfreich war. Abseits von Transfersummen, Briefkastenfirmen und Wettskandalen möchte ich mich auf die positiven Dinge konzentrieren und näherbringen, was Fussball für mich ist…

Auf unserer Facebook Seite könnt ihr bis Freitag, 08.12.2017 eine Ausgabe der Andrea Pirlo Biografie „Ich denke, also spiele ich“ gewinnen. Was ihr dafür tun müsst, erfahrt ihr hier.

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