Am Kickplatz
Nichts Genaues weiß man nicht

Sommerzeit ist Fussballzeit! Wo ansonsten spielfreie Ruhe herrscht, stehen Fussballfans dank der kürzlich eröffneten Weltmeisterschaft nun glückselige Wochen voller Tippsiele, Public Viewings und Prohaska-Fallfehler bevor. Als WM-Junkie versuche ich – sehr zum Leidwesen meiner besseren Hälfte – nach Möglichkeit jedes Spiel samt Vor- und Nachberichten zu verfolgen. Selbst Teams wie Panama, Peru, Südkorea oder Senegal ziehen mich dieser Tage magisch in ihren Bann, sodass ich kaum die Zeit für meine Kolumne finde. Sowohl fürs Mitfiebern vor dem Fernseher als auch für diese Zeilen gilt jedoch: Was sein muss, muss sein! Weg jetzt aber von den luftigen Höhen des FIFA-Großereignisses, hin zur Bodenständigkeit des heimischen Amateurfussballs.

Abgesehen von der ein oder anderen Relegationsschlacht, die in den vergangenen Tagen noch mancherorts tobte, ist die Saison 2017/2018 Geschichte. Zum Saisonfinale hat es mich am 2.6. in genüsslicher Begleitung der Herren Adelmann und Stegisch ins gerade einmal zwanzig Kilometer von Graz entfernte St. Marein verschlagen. Eine Gemeinde wie sie im Bilderbuch steht, als gelernter Landmensch findet man sich da ohne Probleme zurecht: Feuerwehr, Fussballplatz, zwei bis drei Gasthäuser, eine Raiffeisenbank und natürlich die alles dominierende Pfarrkirche auf dem Hügel im Ortszentrum. Auch der obligatorisch hässliche Supermarkt samt XXL-Parkplatz darf in seiner Überdimensioniertheit am Ortsrand natürlich nicht fehlen. Alles da, nett, ruhig und beschaulich. In Sachen Wirtschaft und Infrastruktur liefert mir Wikipedia noch folgende erwähnenswerte Details: „Sankt Marein liegt abseits der Hauptverkehrsstraßen“ und „In Sankt Marein befindet sich kein Bahnhof“. Na bitte, wer Ruhe sucht, wird sie in St. Marein vermutlich finden.

In Sankt Marein befindet sich kein Bahnhof.

Ruhig und vor allem komfortabel war auch unsere Anreise. Kollege Stegischs Schwiegervater, Ideengeber dieser Episode und vor knapp zehn Jahren noch legendärer Torwarttrainer der Mareiner, begleitete uns freundlicherweise als Chauffeur. Der nicht vorhandene Bahnhof störte uns insofern nicht. Unmittelbar neben dem Freibad gelegen präsentierte sich der Fussballplatz des USV St. Marein bedrohlich unter schweren Gewitterwolken, ein Blick zu der überdachten Kantine und Zuschauertribüne stimmte uns aber optimistisch. Nach kurzer Wartezeit empfing uns der stellvertretende Sektionsleiter Otto Sturmann zum vereinbarten Gespräch, er gilt als Urgestein und gute Seele des Vereins. Dass ihm seine Tätigkeit sehr am Herzen liegt, spürt man bereits nach wenigen Minuten. Unterbrochen von seinen gelegentlichen Lautsprecherdurchsagen und Aufgaben am Zapfhahn erzählte er uns bei einem gemeinsamen Bier vor dem Spiel von der aktuelle Lage seines Vereines. Neben Nachwuchssorgen und Spielermangel bereitete ihm insbesondere der ungewisse Klassenerhalt sichtlich Kopfzerbrechen. Grund dafür war die skurrile Situation, dass seitens Fussballverbandes an diesem Spieltag tatsächlich noch nicht feststand, ob angesichts der anstehenden Liga-Reform zwei Mannschaften in die 1. Klasse absteigen, doch nur eine, oder ob Relegation gespielt werden müsste. Die beschlussfassende Sitzung sollte erst montags darauf stattfinden, wie uns Otto erzählte. Bei Strukturänderungen in der Bundesliga behält sich der Verband grundsätzlich vor, Änderungen im Auf- bzw. Abstiegsmodus der darunterliegenden Spielklassen vorzunehmen. So weit, so gut. Dass aber zu so einem späten Zeitpunkt in der Meisterschaft dahingehend noch Unklarheit herrscht, ist vorsichtig formuliert schon etwas eigenwillig. Österreich, wie es leibt und lebt – nichts Genaues weiß man nicht.

Das Spiel, in dem es in der 25. und somit vorletzten Runde gegen Tabellenschlusslicht Söchau ging, stand also unter denkbar schwierigen Vorzeichen. Ein besserer Platz als der vorletzte war arithmetisch nicht mehr drinnen, ein Saisonende am letzten Platz war mit fünf Punkten Vorsprung allerdings auch unwahrscheinlich. Ob aber bereits alle Mühe vergebens war, konnte zu dem Zeitpunkt schlicht und einfach nicht gesagt werden. Eine überaus frustrierende Situation für den gesamten Verein – Mannschaft, Funktionäre und Fans haben sich so etwas einfach nicht verdient. Bewundernswert war deshalb umso mehr, mit welcher Beharrlichkeit man an dieses Spiel heranging.

Wenn Nachschub aus den eigenen Reihen ausbleibt, wird es für die Kampfmannschaft schwierig.

Wie konnte es aber überhaupt so weit kommen? Aufgestiegen im Jahr 2009 (unser Chauffeur Gerhard war damals live dabei und erzählt heute noch stolz von den glorreichen Zeiten mit seinen “Buam”), zählte man seither in der Gebietsliga Süd stabil zu den Mannschaften im Mittelfeld der Tabelle, 2014/2015 belegte man sogar den erfolgreichen vierten Platz. Gründe für die sportliche Talfahrt sind vor allem vereinsintern zu suchen, wie neben Otto Sturmann auch Kassier Thomas Ulrich ohne Umschweife einräumte. Trotz regen Andrangs bei den ganz jungen Mannschaften der U8 und U10, stagnierte in den letzten Jahren die Jugendarbeit vor allem bei den späteren Semestern. Heuer musste man aufgrund akuten Spielermangels in der U15 gar die Meisterschaft einige Runden vor Schluss abbrechen. Wenn Nachschub aus den eigenen Reihen ausbleibt, wird es für die Kampfmannschaft schwierig. Zusätzlich verließ deren Trainer Ende letzter Saison den Verein aufgrund von Meinungsverschiedenheiten, auch zwei Schlüsselspieler nahm er dabei mit zu seinem neuen Club. Aktuell befinden sich im Kader des USV St. Marein nur sieben Einheimische, der Rest wird mit Spielern aus der Umgebung oder dem näheren Ausland aufgefüllt. Bereits in der Gebietsliga geht es um ansehnliche Beträge, für Kicker aus Slowenien oder Kroatien hört man von 400 bis 500 Euro monatlich (exkl. Punkteprämie). Die jeweiligen Spieler nehmen das Angebot natürlich gerne an – aufgrund des niedrigeren Einkommensniveaus in ihren Ländern ein mehr als guter Zusatzverdienst. Für einen kleinen Verein sind solche Summen hingegen mitunter existenzbedrohend, aber oftmals alternativlos, wenn man den Spielbetrieb aufrecht erhalten will. Einheimische Spieler aus oberen Ligen würden die Hand noch weiter aufhalten, damit sie sich zu den unteren Spielklassen herablassen, erzählten uns die beiden Funktionäre hinter vorgehaltener Hand. Die Geldflüsse im internationalen Profigeschäft sind mit der Kategorie Vernunft sowieso nicht mehr fassbar. Dass dem lieben Geld aber schon in den niedrigsten Sphären des Amateurfussballs so hohe Bedeutung zukommt, ist sicherlich höchst bedenklich und schadet der Einstellung zum Sport.

Beflügelt von der epochalen Hymne „Maria (I Like It Loud)“ kümmerten wir uns um die nächste Runde.

Die Partie an diesem Nachmittag verlief den Umständen entsprechend temperamentvoll. Spielerisch war von den Hausherren in weiten Teilen der ersten Halbzeit wenig zu sehen, Sicherheit lautete die Devise. Entgegen dem Spielverlauf fiel in der 26. Minute aber der 1:0 Führungstreffer für St. Marein, was den Scooter-Klassiker “Maria (I Like It Loud)” als Tormusik nach sich zog. Beflügelt von dieser epochalen Hymne kümmerten wir uns in der Kantine um die nächste Runde, der noch einige weitere folgen sollten. Dominiert wurde das Spiel im weiteren Verlauf vor allem von gelben Karten. Sage und schreibe zehn Mal zückte der erst 18-jährige Schiedsrichter Anton Strablegg den Karton und hatte alle Hände voll zu tun, damit das das Spiel nicht vollends aus dem Ruder lief. In der Schlussphase gab es für Söchau sogar noch Gelb/Rot. Trotz aller Unfreundlichkeiten, die ihm von den Zuschauerrängen entgegenhallten, blieb er für seine noch sehr jungen Jahre erstaunlich ruhig. Bevor Schlimmeres passierte, beendete er das Spiel in der 94. Minute, das Tor aus Hälfte eins sollte den Mareinern zum Sieg reichen. Für kurze Zeit vergaß man die Abstiegssorgen und war zufrieden. Während Kollege Stegisch und ich nach dem Spiel noch ein paar Worte mit dem Schiedsrichter plauderten, belohnten sich die Spieler in der Kabine bereits mit einer gut gekühlten Kiste Bier. Zu sanfter Countrymusik durch die Stadionlautsprecher genehmigten auch wir uns noch ein Digestif, bevor wir im örtlichen Café Carambol den österreichischen Sieg des verspätet angepfiffenen Länderspiels gegen Deutschland mitverfolgten konnten. Ein historischer Moment für den heimischen Fussball, den wir in Gesellschaft einiger Vereinsmitglieder mit unvermeidlichem Bacardi-Cola begossen. Übrigens ist das auch das Getränk der Woche in unserer aktuellen Podcast-Episode zur Fussball-Weltmeisterschaft, womit sich der Kreis an dieser Stelle wunderbar schließt.

Kein Happy End gab es leider für unsere Freunde vom USV St. Marein. Nach einer 5:0 Auswärtsniederlage gegen den Tabellenzweiten Sinabelkirchen beendete man das Meisterschaftsjahr zur letzten Runde zwar an vorletzter Stelle, nach einigem Hin und Her im Verband war aber schließlich entschieden worden, dass es aufgrund der weitreichenden Änderungen der Ligastruktur und zusätzlich aufgrund der Zusammenlegung beider 1. Klassen im Süden in die Relegation gegen Gnas II ging. Wäre das nicht schon bitter genug, holte man sich dann im Hinspiel auch noch eine 5:0 Ohrfeige auswärts. Dass sich der Rivale für dieses Duell ordentliche Verstärkung aus seiner Landesligamannschaft geholt hatte, sorgte verständlicherweise für große Aufregung. Wettbewerbsverzerrungen dieser Art stehen bei solchen Entscheidungsspielen an der Tagesordnung, davon wird immer wieder berichtet. Umso verwunderlicher, dass es von offizieller Seite nur sehr schwache Regelungen gibt, die so eine Vorgehensweise unterbinden. Der 1:0 Heimsieg beim Rückspiel am 16.6. war leider nur noch Kosmetik, der Abstieg damit besiegelt. Für die kommende Saison können wir nur wünschen, dass eine Neuordnung gelingt und die Liebe zum Spiel erhalten bleibt. Alles andere wäre noch viel bitterer als jeder Abstieg.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert