Sie wüssten so wenig über den Fussball in Zentralasien, monieren Adelmeier und Steghauser in ihrer letzten (und zwölften) Podcast-Ausgabe. Aus diesem Grund wäre eine gemeinsam ausgerichtete Weltmeisterschaft in Kirgistan, Tajikistan, Turkmenistan und Usbekistan zu unterstützen, denn es würde helfen, diese Länder auf unseren geistigen wie realen Landkarten zu verorten und (Fussball-)Kulturen kennenzulernen, die ihnen bislang unbekannt wären. Uns ist bewusst, dass König Fussball ein globales Phänomen ist. Dass er überall gespielt wird. Dass auch die Verbände von Bhutan und Bangladesch oder Tonga und Tuvalu gelegentlich elf Mann auf ein Spielfeld fernab unserer Aufmerksamkeit delegieren. Doch wie sich das im Konkreten gestaltet, entzieht sich zumeist unserer Kenntnis. So können viele Fussball-Aficionados problemlos den aktuellen Mittelstürmer von West Bromwich Albion oder den Ersatztorwart des FC Augsburg benennen, aber wenn der- oder dieselbe dann eine Handvoll Vereine aus einer Liga, die nicht Woche für Woche im Free- oder Pay-TV zu sehen ist, aufzählen soll, dann trennt sich die Spreu vom Weizen. Abseits der perfekt kommerzialisierten Hochglanzprodukte von Premier League, Primera División und Co. geht es aber da wie dort um Emotionen auf den Rängen, um Lokalkolorit und die Grundeinstellung: „Support your local team.“
Als Konsequenz übersehen wir dabei möglicherweise, dass es in unzähligen Ländern eine Fussballkultur gibt, die uns unbekannte Eigen- und Besonderheiten hat. Dass es auch marokkanische Derbies wie Wydad gegen Raja Casablanca verdient hätten, in einem Atemzug mit den Duellen in Belgrad, Glasgow oder Buenos Aires genannt zu werden. Der Superclásico hat es dabei vielleicht aufgrund der historischen Errungenschaften südamerikanischer Nationalmannschaften in unser eurozentristisches Blickfeld geschafft. Länder wie Usbekistan jedoch tauchen auf dem hiesigen Radar nur als kuriose Randnotiz auf, wenn sich Spieler wie Rivaldo oder Trainer wie Luiz Felipe Scolari mit einem üppigen Salär den Weg in die Pension versüßen lassen.
Die Anfänge
Es reicht aber auch, den Blick über die hinteren Ränge der UEFA-Fünfjahreswertung schweifen zu lassen. Auf Platz 45 (von 55) ist eine Nation zu finden, die sich noch nie für eine Europa- oder gar Weltmeisterschaft qualifizieren konnte und deren Vereine bis dato keine Teilnahme an einer Champions- oder Europa League-Gruppenphase verbuchen konnten: Georgien. Dabei ist Fussball dort durchaus Volkssport Nr. 1, wenn es sich auch einen Gutteil der öffentlichen Aufmerksamkeit mit Rugby teilen muss, wo sich die „Lelos“ mittlerweile als Stammgast bei Weltmeisterschaften etabliert haben, wovon das ballesterische Äquivalent freilich nur träumen kann. Doch Fussball hat Tradition in der Republik südlich des Großen Kaukasus. Eine humoristische Annäherung an die ersten Schritte der gepflegten georgischen Bolzerei findet sich in der sowjetischen Filmgeschichte. Die Komödie „Pirveli Mertskhali“ (Die erste Schwalbe) aus dem Jahr 1975 zeigt die georgische Schwarzmeerküste vor dem Ersten Weltkrieg, wo der Protagonist Jason beschließt, das wilde Gekicke auf zwei Stangen im Gras auf ein neues Level zu heben. Pioniergeist und Zusammenhalt werden dabei propagiert, der wackeren Truppe jedoch schlussendlich die Grenzen von einer Gruppe britischer Matrosen aufgezeigt.
Fussball hat Tradition in der Republik südlich des Großen Kaukasus.
Tatsächlich kam der Fussball wohl über die britische Arbeiterschaft im St. Petersburger Hafen ins Russische Reich, dem auch Georgien vor dem Ersten Weltkrieg angehörte. 1912 entsandte Russland seine vermeintlich beste Elf nach Schweden zu den Olympischen Spielen, von wo aus sie primär mit Erfahrung bereichert wieder die Heimreise antrat, nachdem man punkt- und torlos blieb und das Turnier mit einem denkwürdigen 0:16-Debakel gegen die deutsche Mannschaft in der Trostrunde abschloss. Einen Georgier sucht man in der Kaderliste jedoch vergeblich. Wann genau Fussball im Süden des Reiches Fuß fasste, ist nur schwer anhand eines genauen Datums festzumachen. Ein Blick in die Vereinslisten hilft oftmals weiter, insofern die Vorreiter ihrer Zunft – so sie heute noch existieren – ihre Gründungsdaten stolz der Mitwelt präsentieren. Das kennt man von Hannover 96, vom First Vienna Football-Club 1894, aber auch von vereinsrechtlichen Neugründungen wie Parma Calcio 1913. In Georgiens oberster Spielklasse, der „Erovnuli Liga“ (Nationale Liga), findet sich ein Hinweis darauf, dass Fussball in Georgien bereits vor dem Ersten Weltkrieg institutionalisierte Wurzeln schlug. In der Hafenstadt Poti, wohl nicht ganz zufällig auch der Handlungsort von „Pirveli Mertskhali“, wurde 1913 der heutige Erstligist FC Kolkheti-1913 Poti gegründet.
Der obligatorische Österreichbezug
Bereits sieben Jahre davor wurde der FC Shevardeni 1906 gegründet, wobei uns die Geschichte dieses Vereins ausnahmsweise nicht auf die Insel, sondern in die Habsburgermonarchie führt. Ein gewisser Jaroslav Svatoš brachte die Turnbewegung „Sokol“ von Prag nach Georgien und etablierte noch Ende des 19. Jahrhunderts eine Sportsektion in Tbilisi (Tiflis). Die Gründung der Fussballsektion erfolgte 1906 unter dem Namen „Shevardeni“, einer direkten Übersetzung des Falken (Sokol) ins Georgische. Freilich blieben die ersten Berührungspunkte zwischen Alpen- und Kaukasusballesterern nicht die letzten. Erst in der Qualifikation für die aktuell stattfindende Weltmeisterschaft in Russland trafen die ÖFB- und SPP-Auswahlen aufeinander, wobei letztere ein Fünftel ihrer Punkte durch ein Remis im Ernst-Happel-Stadion erringen konnte. Darüber hinaus durfte beinahe jedes Team, das in den letzten zwei Jahrzehnten die österreichische Bundesliga in der oberen Hälfte abschließen konnte, irgendwann die Reise über das Schwarze Meer antreten. Da waren Rapid Wien (Dinamo Tbilisi 2007; Dila Gori 2013), Sturm Graz (Dinamo Tbilisi 2010; FC Zestafoni 2011), die SV Ried (WIT Georgia 2001, Dinamo Tbilisi 2006) und der SCR Altach (Chikhura Sachkhere 2017). Ja selbst für Pasching (WIT Georgia 2003) ging es zwei Zeitzonen Richtung Osten. Nur der Wiener Austria blieb eine Reise nach Georgien vorenthalten. Weniger, weil man keinen passenden Opponenten in Nyon zugewiesen bekommen hätte, sondern weil man August 2008 schrieb und sich WIT Georgia aufgrund des eben ausgebrochenen Krieges in Südossetien mit der Bitte an UEFA und Austria wandte, man möge das Spiel nur in einem (Auswärts-)Durchgang entscheiden. Bis auf eine Rieder Ausnahme stieg in all diesen Duellen der österreichische Vertreter in die nächste Runde auf. Stolze 37 Mal mussten die georgischen Teams dabei den Ball aus dem eigenen Netz holen, so oft wie gegen die Vertreter keines anderen Landes. Das mag freilich auch daran liegen, dass die 22 Duelle gegen österreichische Mannschaften in den bisherigen Europacup-Statistiken Georgiens ebenso unerreicht bleiben.
Stolze 37 Mal mussten die georgischen Teams den Ball aus dem eigenen Netz holen…
Wenig deutet bei dieser Bilanz gegen österreichische Gegner darauf hin, dass „Georgien“ noch in den 1980er-Jahren einen Europacup-Sieger stellen konnte. Ältere Semester unter den GAK-Anhängern können sich vielleicht daran erinnern, dass man eben erst den Österreichischen Cup für sich entschieden hatte und in der folgenden Saison den Titelverteidiger im Cup der Cupsieger zugelost bekam – Dinamo Tbilisi (Tiflis). Die Mannschaft aus dem sowjetischen Süden hatte auf ihrem Weg zum Triumph 1980/81 u.a. West Ham United und Feyenoord Rotterdam ausgeschaltet und schließlich im Rheinstadion zu Düsseldorf den Kracher gegen den FC Carl Zeiss Jena mit 2:1 für sich entschieden. Angaben zu den Zuschauerzahlen für dieses Finale liegen zwischen nur 4.700 und 9.000. Die schüttere Kulisse mag sicherlich auch mit Auslosung und Ansetzung erklärt werden, die vorsahen, dass sich eine Mannschaft aus dem ostdeutschen Jena mit einer Mannschaft aus dem sowjetischen Georgien im westdeutschen Nordrhein-Westfalen um die Trophäe duellieren sollte. Die lokale Bevölkerung zeigte der Partie die kalte Schulter, während der Jenaer Fankurve der Platz im eigenen Wohnzimmer vorbehalten blieb und ein Sonderzug nur für die Vereins- und Staatsobrigkeit organisiert wurde.
Die Vorzeichen waren dementsprechend andere, als „Dinamo vs Graceri“ (so zu lesen im damals aufliegenden Matchprogramm) am 16. September 1981 im Lenin-Stadion in Tbilisi angepfiffen wurde. Der Favorit ließ wenig anbrennen und sorgte mit einem 2:0 dafür, dass bereits im Hinspiel die Weichen zum Aufstieg gestellt wurden. Den Schlusspunkt setzte Ramaz Shengelia, der im Duell der Legenden vom Elfmeterpunkt einem Torwart in Dreiviertelhosen via linker Innenstange keine Chance ließ. Das 2:2 im Rückspiel mag in der Grazer Vereinschronik als Achtungserfolg verbucht worden sein, in Tbilisi machte sich Enttäuschung aber erst breit, als die angepeilte Titelverteidigung verfehlt wurde. Im Halbfinale musste man sich Standard Liège rund um Michel Preud’homme, Eric Gerets und Arie Haan geschlagen geben.
Veränderungen
Das Halbfinale im Cup der Cupsieger 1981/82 sollte das letzte große internationale Spiel einer georgischen Mannschaft gewesen sein. In des damaligen Gegners Jugend zerriss sich ein Spieler die Schuhe, von dem man nicht ahnen konnte, dass er die Fussballlandschaft so nachhaltig wie kaum ein anderer verändern würde. Marc-Joel Bosmans erfolgreich ausgefochtener Prozess ermöglichte ihm selbst zwar keine große internationale Karriere, sorgte aber für neue Spielregeln am Transfermarkt. Überhaupt standen große Veränderungen bevor, die auch vor dem Fussball nicht Halt machten. Neue Zeiten brachen an – mit Gewinnern und Verlierern. Der GAK spielt heute nicht mehr erstklassig und noch viel weniger international. Der Cup der Cupsieger ist Geschichte. Aus der Sowjetunion gingen fünfzehn unabhängige Staaten hervor, von welchen wiederum elf ihre Klassenbesten in die Bewerbe der UEFA entsenden. Lediglich die Wunschkandidaten von Adelmeier-Steghauser für eine Austragung der WM 2030 schlossen sich dem Asiatischen Fussballverband AFC an. Und vom einstigen Ruhm und Glanz der (süd-)osteuropäischen Vereine wie Dinamo Tbilisi, Steaua Bukarest (Meistercupsieger 1986) oder Roter Stern Belgrad (Weltpokalsieger 1991) ist auf der großen Bühne wenig übrig geblieben.
Neue Zeiten brachen an – mit Gewinnern und Verlierern.
Einerseits fiel die Protektion für gewisse Klubs aus bestimmten staatlichen Kreisen (z.B. Armee oder Eisenbahn) weg, da sich die meisten Nachfolgestaaten der Sowjetunion in finanziellen Turbulenzen befanden. Andererseits ermöglichten neue Regeln am internationalen Transfermarkt, dass Spieler die heimische Liga vermehrt verlassen konnten. Aushängeschilder des georgischen Fussballs (etwa die Gebrüder Avreladze oder der heutige Bürgermeister der Hauptstadt Tbilisi Kakha(-ber) Kaladze) machten sich somit auf, den Weltfussball zu erobern. Etwas später war auch die kleinere Bühne Österreichs interessant genug für georgische Edelzangler und Arbeitsbienen. Besonders Sturm Graz schien den Blick über das Schwarze Meer zu werfen, wenn man etwa an Davit Mujiri, Giorgi Shashiashvili, Giorgi Popkhadze oder Ilia Kandelaki denkt. Sie kamen zum Teil über Umwege nach Österreich, zum Teil jedoch auch direkt aus Georgiens oberster Spielklasse, die nach einem Jahrzehnt der hauptstädtischen Titelfadesse zu einem offenen Bewerb wurde (sieben verschiedene Meister in den vergangenen zehn Spielzeiten). Erst 2016 grundlegend reformiert, wird der Titelträger in einer Jahresmeisterschaft ausgespielt. Der Titel für die (Herbst-)Saison 2016 war also ein verhältnismäßig billiger, den der FC Samtredia jedoch gerne auf die eigene Visitenkarte schrieb. Mein Besuch in Georgien fällt heuer mit dem Endspurt der ersten Jahreshälfte zusammen. Die Liga wird im Juli pausieren, nicht jedoch jene Teams, die sich in der vergangenen Saison einen Europacup-Startplatz erkämpft haben. Sie werden in den nächsten Tagen und Wochen versuchen, die Hürden Beitar Jerusalem, Tobol Qostanay und Dunajská Streda zu nehmen, um somit in die nächste Runde einzuziehen.
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Dominik Gutmeyr ist promovierter Historiker und Experte für slawische Sprachen. Zu seinem Spezialgebiet der südosteuropäischen Geschichte lehrt bzw. forscht er an der Universität Graz und überschreitet dafür schon einmal Ural und Kaukasus – von Kaliningrad über Ekaterinburg bis Vladivostok, von Ljubljana über Istanbul bis Baku. Mehr als 15 Jahre lang selbst in diversen Fussballvereinen als Spieler aktiv, hat er für die österreichische Bundesliga einen Herzenswunsch an die Zukunft: die Wiedergeburt des Grazer Stadtderbys zwischen Sturm und GAK.
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