Spielfrei auf Malta: Birkirkara vs. KÍ Klaksvík
Eigentlich ist es ja grundsätzlich falsch, einen Artikel mit eigentlich zu beginnen, aber was soll’s. Denn eigentlich berichte ich in meiner Kolumne ja hauptsächlich über das Geschehen am Rande des Spielfeldes. Darauf konzentriere ich mich zum Großteil der neunzig Minuten, nur bei spannenden Darbietungen am grünen Geläuf steht auch für mich das eigentliche Spiel im Mittelpunkt. Es kann durchaus vorkommen, dass ich mich Jahre später noch an jede einzelne Pyro-Aktion oder anderweitige Spektakel abseits des Rasens erinnern kann, vom eigentlichen Spielgeschehen, geschweige denn vom Ergebnis, aber nicht mehr den blassesten Schimmer habe. Mein Reisebericht macht dieses Mal eine kleine Ausnahme.
Der Urlaub auf Malta hätte sich eigentlich rein auf Kultur- und Badevergnügen beschränken sollen, aber es kommt halt immer etwas anders, als man denkt. Kurz vor der Abreise stellte ich mit Vergnügen fest, dass in der „Vorqualifikation” der Qualifikation zur Europa League 2018/2019 (warum auch immer noch eine zusätzliche Runde benötigt wird) von den meisten wohl völlig unbemerkt schon wieder der Ball rollen sollte, während sich die WM in Russland bereits auf die heiße Phase zubewegte. So eine Europapokal Auslosung vertieft ja die Geographiekenntnisse besser als jeder Sachkundeunterricht. Wo liegt eigentlich Kutaisi? Spielt Víkingur Gøta auf Island oder doch auf den Färöer? Und wo trägt eigentlich Qarabağ FK seine Heimspiele aus? Mit tatkräftiger Unterstützung von Google wurde ich schließlich auf das mit Spannung erwartete und die Massen elektrisierende Duell zwischen Birkirkara (Malta) und KÍ Klaksvík (Färöer) am 28.6.2018 aufmerksam. Auch wenn ich mich selbst nicht als Stadien- oder Länderpunkte sammelnden Groundhopper bezeichne, nehme ich so einen “Klassiker” doch dankend mit, wenn ich schon mal vor Ort bin. Es müssen ja nicht immer nur die großen Derbys und „Risikospiele“ sein.
Leben und Fussball auf der Insel
Auf nach Nordafrika, oder doch Südeuropa? Geht es nun in den Maghreb und dort speziell in den periphersten arabischen Staat, oder in einen am Rand gelegenen europäischen Zwergstaat?
Malta ist auch gerade deshalb ein interessantes Ziel, weil es zwar als einer der kleinsten EU-Staaten gilt, kulturell aber nicht übermäßig viel mit Europa zu tun hat. Die Verbindungen zur arabischen Welt sind unübersehbar, was gesehen von der Mittelmeer-Lage zwischen Süditalien und Nordafrika (Tunesien, Libyen) eigentlich auch logisch ist. Malta überrascht mit seiner Vielfältigkeit auf gerade einmal 246 Quadratkilometern und ist neben Monaco und dem Vatikan das am dichtesten besiedelte Land Europas. In den letzten Jahrhunderten waren zahlreiche Großmächte (Araber, Normannen, deutsche, spanische und italienische Herrschaftshäuser, bis 1964 britische Kronkolonie) auf der Insel präsent. Aufgrund der strategisch guten Lage im Mittelmeer und der wechselhaften Geschichte spricht man heute Arabisch, benutzt das lateinische Alphabet, fährt auf der linken Straßenseite und ist katholischer als der Papst. Beispielsweise waren Scheidungen bis ins Jahr 2011 verboten und die Dichte an Kirchen sucht ihresgleichen. So besitzen die Malteser kein ausgesprochenes Nationalgefühl im politischen Sinne, sondern definieren sich eher über das Erzbistum.
…man spricht Arabisch, benutzt das lateinische Alphabet, fährt auf der linken Straßenseite und ist katholischer als der Papst.
Fragt man den durchschnittlichen Österreicher, womit er den kleinen Inselstaat Malta verbindet, sind vermutlich Urlaub am Meer, Sprachreisen oder Linksverkehr die häufigsten Antworten. An das runde Leder denkt da wohl kaum jemand. Trotzdem ist Fussball (aktuell Platz 184 auf der FIFA Weltrangliste), der englischen Kolonialmacht geschuldet, neben Wasserball Volkssport Nummer eins auf Malta. Die Maltese Premier League, die höchste Spielklasse im maltesischen Fussball, besteht aus zwölf Mannschaften und weist einige Eigenheiten auf. So gibt es keine Heim- und Auswärtsspiele im klassischen Sinn, sondern vielmehr ein paar wenige Stadien, in denen die Vereine abwechselnd spielen. Oftmals werden auch in demselben Stadion zwei Spiele hintereinander ausgetragen. Dazu wird meist nur die Haupttribüne geöffnet, die für Fans beider Vereine zur Verfügung steht und durch einen VIP-Sektor getrennt ist. Konflikte entstehen auf diese Art meistens keine, man kennt es eben nicht anders.
Der FC Birkirkara war viermal Meister und erreichte in der abgelaufenen Saison den vierten Platz, was zur Teilnahme an der “Vorqualifikation” zur Europa League berechtigt. Vor allem in der Saison 2016/17 konnte man Achtungserfolge erzielen, als sowohl Široki Brijeg (Bosnien) als auch Heart of Midlothian (Schottland) bezwungen wurden und erst in der dritten Qualifikationsrunde gegen FK Krasnodar (Russland) Endstation war.
Matchday
Der Ball sollte bereits am zweiten Tag meines Aufenthalts auf der traumhaften Insel rollen und so ging es mit dem Mietwagen ausgehend von Valletta in die knapp zwanzig Minuten entfernte Stadt Attard. Leider wurde das Spiel nicht wie ursprünglich von mir gedacht im 18.000 Zuseher fassenden Ta’ Qali-Stadion ausgetragen, das seit seiner Eröffnung Anfang der 1980er-Jahre das Nationalstadion Maltas ist, sondern im direkt angrenzenden Centenary Stadium mit seinen 3.000 Plätzen.
Dreißig Minuten vor Beginn am Stadion angekommen, staunte ich nicht schlecht über den großen Andrang, realisierte aber bald, dass dieser nicht dem von uns anvisierten Gebolze galt, sondern einer Messe nebenan. Beim Einbiegen in den Parkplatz war ich wohl so sehr von einer in den Gästefarben gekleideten Personengruppe abgelenkt, dass ich den Fauxpas schlechthin im Linksverkehr produzierte und mich lässig an der Ausfahrtschranke einreihte. Der Autolenker hinter mir quittierte es mit Hupen und einem sympathischen Lächeln. Immer dieser Touristen. Grundsätzlich war der Linksverkehr trotz südländischer Fahrweise kein allzu großes Problem und die Malteser reagierten bei „kleinen“ Verfehlungen (zum Beispiel mal kurz auf der falschen Straßenseite fahren) meist recht gelassen. Gerade noch pünktlich fanden wir uns schließlich am kleinen Ground ein.
Gastfreundschaft auf Maltesisch…
Bezüglich Karten waren im Vorfeld kaum Informationen zu kriegen, abgesehen davon, dass Mitglieder offenbar freien Eintritt genießen. Das ließ unserer Meinung nach zumindest auf eine faire Preisgestaltung schließen. Wie ein späterer Blick auf den Einheitspreis von stolzen dreißig Euro zeigte, stellte sich dieser Gedanke aber als Irrtum heraus. Ob es das wert war? Die Vorlage meines längst abgelaufenen Studentenausweises und das Gefasel von Presse beantwortete die nette Dame am Schalter mit einem Verweis zum VIP-Eingang. Kaum ordentlich umgedreht, sprach mich eine ältere Dame wegen Tickets an. Entgegen meiner Annahme wollte sie aber nicht wissen, wo es diese zu kaufen gibt, sondern mir eine Freikarte schenken. Die Einladung nahm ich natürlich dankend an, erklärte der hilfsbereiten Frau aber zum Abschied noch, dass ich nicht allein angereist war. Daraufhin begann sie lebhaft, mit zwei Herren zu diskutieren. Wie sich herausstellte, war einer davon Vereinsoffizieller und der andere Maltas Nationaltrainer, der erst eine Woche zuvor mit seiner Mannschaft in Kufstein auf Trainingslager war. Mit diesem Österreich-Bonus war das Eis sofort gebrochen und wir erhielten beide tatsächlich freien Eintritt. So sieht Gastfreundschaft auf Maltesisch aus.
Das Stadion besteht nur aus einer Tribüne auf der Längsseite, wovon der mittlere Teil überdacht ist. Starker Wind sorgte auf den Rängen zwar für angenehme Abkühlung, die Spieler hatten mit diesen Bedingungen jedoch sichtlich ihre Probleme. So entstanden einige kuriose Szenen, unter anderem musste ein Mitspieler vor der Ausführung eines Freistoßes den Ball regelrecht festhalten, damit es beim dritten Versuch dann auch endlich klappen konnte. Gepaart mit dem ohnehin nicht sonderlich hohen Niveau deutete alles auf ein torloses Remis hin, ehe wir aber doch auf beiden Seiten einen Treffer bewundern durften.
Meine Erwartungshaltung an das Geschehen auf der Tribüne war irgendwie, tja, nicht vorhanden – im Sinne von völliger Ungewissheit. Klar hatte ich im Vorfeld versucht, mich zu informieren: Fotos im Internet recherchiert, alte Fansites durchwühlt und sogar ein Interview mit den Birkirkara Ultras gefunden. Ob im Stadion aber tatsächlich irgendetwas los sein würde, blieb bis zuletzt völlig offen. Aber auch schön, sich einfach mal überraschen zu lassen. In Zeiten wie diesen, wo man im Internet von fast jeder Szene tausende Fotos und Videos sehen kann, schon fast ein Unikum.
Die größte Überraschung des Abends war die tatsächliche Anwesenheit der Gäste.
Und ja, auf Malta gibt es sogar Anhänger, die sich als „Ultras“ bezeichnen und für den organisierten Support verantwortlich fühlen. Eine der ältesten und größten Gruppen sind die Birkirkara Ultras 1997, welche sich selbst als politisch und religiös neutral bezeichnen. Im Stadioninneren angekommen fielen sie uns sofort auf. Der Anblick von mit Trommeln und Fahnenstangen ausgerüsteten Jungspunden ließ auf etwas Unterstützung hoffen. Zu Beginn wurde ich gleich einmal überrascht, gab es doch auf der Heimtribüne gelbe und rote Luftballons sowie ein Spruchband auf Maltesisch in den Vereinsfarben über die gesamte Länge des Bereiches. Dazu wehten drei große Schwenkfahnen, die zwar gedruckt aussahen, aber immerhin teilweise auch mit „ULTRAS“-Schriftzug und einem Vermummten bestückt waren. Leider kamen diese nach dem Intro das gesamte Spiel über nicht mehr zum Einsatz, was wohl der Polizeipräsenz und den dahinter sitzenden Zusehern geschuldet war. Denn Enthusiasmus konnte man den 12 bis 25-Jährigen keinesfalls absprechen. Nebenher wurden noch zwei Trommeln mehr oder weniger taktvoll malträtiert und die Youtube-Charts rauf und runter gesungen, aber allemal besser als gar kein Support. Im oberen Bereich der Tribüne gab es auch ein paar ältere Herrschaften, die sich hin und wieder zu einem Schlachtruf hinreißen ließen. Das restliche Publikum war ebenfalls emotional dabei. Diskutiert und geschimpft wurde interessanterweise meist in englischer Sprache, die Gesänge kamen hingegen melodisch italienisch daher.
Knappe tausend Zuseher waren zu dieser Begegnung gepilgert, bei der genauso verfahren wurde wie auch im Ligabetrieb: eine Hälfte der Tribüne war für die Anhänger der Heimmannschaft, in der Mitte der Bereich für die Allerwichtigsten und daneben der riesige Gästebereich. Die größte Überraschung des Abends war die tatsächliche Anwesenheit der Gäste. Ungefähr vierzig hatten den Weg von Insel zu Insel gefunden. Gästesupport, wenn man es so bezeichnen möchte, war vorhanden. Munter wurde alle paar Minuten genau ein Lied (!) angestimmt, begleitet von Mini-Fähnchen in den Nationalfarben.
Alles in allem eine nette Abendgestaltung – vor allem für meine Begleiterin dermaßen faszinierend, dass sie in der Zwischenzeit die Online-Bestellung unseres Abendessens erledigte und die Zeit für einen Anruf nachhause nutzte. Mir hat der intime Rahmen sehr zugesagt, eine schöne Abwechslung zu den anonymen Massenveranstaltungen. Leider war nach dem Rückspiel im Norden Endstation für Birkirkara. Ich hätte dem sympathischen Verein noch weitere Abende im Europapokal gewünscht.
COME ON, BOYS IN RED & YELLOW!