Kurvenblick
Günned de Final, chömed hei und lönd oi fiire!

Schweizer CUPFINAL 2018

Als an einem bitterkalten Mittwochabend  (Temperaturen um die Minus 12 Grad) im Zürcher Letzigrund Cédric Brunner in der neunzigsten Minute zum 2:1 für den FCZ im CUP Halbfinal-Derby gegen die Grasshoppers einnetzte, gab es in der Zürcher Südkurve kein Halten mehr. Dutzende Bengalen erhellten den Nachthimmel und für mich als FCZ-Sympathisant stand fest, der Cupfinal – wie der Schweizer sagt – muss 2018 im Beisein meiner Wenigkeit stattfinden. Der Finalgegner wurde bereits am Abend davor ermittelt, wo der neue Meister Young Boys Bern den FC Basel eliminierte (dieses Duell wäre, wie bei meinem ersten Finale 2014, aus Fansicht natürlich wieder mein Favorit gewesen). Meine drei bisher gesehenen Finale waren zumindest fantechnisch jedes Mal den Besuch absolut wert.

„Der CUPFINAL ghört ins Wankdorf“

Der Fussball-Cupfinal fand erstmals nach 2014 wieder in Bern statt. Damals kam es zu Gewaltexzessen randalierender Fans aus Zürich und Basel. Bei ihrem Marsch durch die Stadt verursachten sie Sachschäden in Höhe von rund 40.000 Franken. Die Szenen an jenem Ostermontag fanden bereits weit vor dem Spiel statt und wurden geprägt von Männern mit schwarzen Kapuzenjacken, Sonnenbrillen und Sturmmasken mit Totenschädelmotiv. So bewegte sich der Mob der FCZ-Fans (angeblich auch unterstützt von Leuten des Stadtrivalen Grasshoppers, gemeinsam unter dem Namen „Zürichs kranke Horde“ aktiv) durch die Stadt, uniformiert, martialisch und für viele Aussenstehende sicherlich bedrohlich wirkend. Schaufenster gingen zu Bruch, ein Souvenirladen wurde ausgeräumt und in der Innenstadt war die Trennung der rivalisierenden Fangruppen nur durch massives Polizeiaufgebot und Wasserwerfer möglich. Auch vor dem Stadion kam es seitens der Polizei zum Einsatz von Wasserwerfern und sogar Gummigeschossen. Die Stadtregierung machte nach diesen Ereignissen deutlich, dass der Cupfinal in Bern nicht mehr willkommen sei. In den Folgejahren wich der Fussballverband deshalb nach nach Basel, Zürich und Genf aus.

Die Rückkehr nach Bern wurde durch einen Sinneswandel der Stadtregierung ermöglicht.

Aus der gemäßigten Schweiz würde man solche Dinge nicht erwarten. Dass die Schweizer Fanszene jedoch ein durchaus hohes Gewaltpotential in sich trägt, zeigte sich 2018 bisher aber mehr als deutlich. Bereits über ein dutzendmal kam es vor allem in Zürich zu heftigen Auseinandersetzungen, auch abseits der Spieltage.

Bis einen Tag nach dem Halbfinale war man sich heuer im Unklaren, wo das Finale ausgetragen wird. Nachdem der Finaleinzug der Berner Mannschaft feststand, wurde schlussendlich das Stade de Suisse (ehemals Wankdorf) als Finalort präsentiert. Die Rückkehr nach Bern wurde durch einen Sinneswandel der Stadtregierung ermöglicht. Sollte der Cupfinal 2018 ohne Misstöne über die Bühne gehen, würde ihn die Stadt auch in Zukunft beherbergen.

Ein Cupfinal für möglichst alle?

Zusätzlich zur Posse um den Spielort sorgte dieses Jahr auch die Ticket- und Preispolitik für Kopfschütteln. Während für Tickets in den Kurven 50 Franken verlangt wurden, waren für Tribünenplätze 100 oder gar 120 Franken fällig. Diese (zu) hohen Summen widerspiegeln eine Preispolitik, die ganz offenkundig nicht „ein Fussballfest für alle“ (Zitat des Berner Stadtpräsidenten) zum Ziel hatte. Für Schüler oder Lehrlinge avancierte der Cupfinal zum Luxus und wer vorhatte, das Spiel mit seiner Familie von der Tribüne aus zu verfolgen, musste mal locker mehrere hundert Franken hinblättern.

Aufgrund der verfehlten Preispolitik entschied die Zürcher Südkurve, 300 ermäßigte Tickets an Jugendliche unter 18 Jahren für den FCZ-Fansektor abzugeben (pro Ticket übernahm die Zürcher Südkurve 15 Franken). Ein Zeichen gegen die horrenden Ticketpreise beim Final, die noch einmal höher waren als im Vorjahr und rund doppelt so hoch wie die Preise für dieselben Plätze in der Meisterschaft.

Nach dem Meistertitel ist ja plötzlich jeder langjähriger YB-Fan.

Nachdem die Verkaufsmodalitäten veröffentlicht wurden (jeweils 11.500 Karten pro Finalteilnehmer, die restlichen 7.000 an Sponsoren und ähnliche „Super-Fans“), ging der Run auf die Tickets los. In Bern fand gar kein öffentlicher Verkauf statt, da Abonnenten Vorkaufsrecht hatten und somit bereits alle Tickets vergriffen waren. Nach dem Meistertitel ist ja plötzlich jeder langjähriger YB-Fan. Die Young Boys bekamen sogar nochmals um die 1.000 zusätzliche Tickets. In den einschlägigen Internet-Verkaufsportalen wurden von Beginn an Tickets zu utopischen Preisen (über 600 CHF) angeboten und ebenso verkauft.

Ich  selbst stand am ersten freien Verkaufstag glatte zwei Stunden in der Schlange vor der FCZ- Geschäftsstelle, um mir mein Ticket zu sichern. Der ganze Wirbel war im Endeffekt aber vor allem in Zürich überflüssig, sogar noch in der Woche vor dem Finale gab es schlussendlich noch Tickets zum Originalpreis zu kaufen. Für eine Stadt wie Zürich einerseits schon traurig, wenn nicht einmal ein Kontingent von 11.500 Tickets an den Mann bzw. die Frau gebracht wird, mir persönlich ist es andererseits lieber, wenn auch bei so einem wichtigen Spiel nur das „Stammpublikum“ fährt und nicht tausende “Eventies” wie in Bern.

Der Finaltag

Typisch war die Organisation der Zürcher Anreise. Sechs Extrazüge (in der Schweiz wird von den größeren Szenen wie bei FCZ, GC, Basel, Bern, Luzern, St. Gallen zu jedem stinknormalen Ligaspiel per Extrazug angereist) machten sich auf den Weg Richtung Hauptstadt. Außerdem wurden für beide Fanszenen schon in der Woche davor die Marschrouten der jeweiligen Corteos veröffentlicht und der Zürcher Fangemeinde wurde überraschenderweise ein Marsch vom Berner Hauptbahnhof aus genehmigt. Von beiden Finalisten wurde zudem ein gemeinsames Video geschaltet, um für ein friedliches Fussballfest zu werben.

Auch selbst nutzte ich den Extrazug (zum Glück ein Waggon mit gemäßigtem Publikum!) und war schon kurz nach 10:00 Uhr in Bern, aufgrund der Sicherheitsbedenken war das Spiel bereits um 14:00 Uhr angesetzt. Wenn so eine Ankickzeit zu geringerem Alkoholkonsum beitragen sollte, ging der Plan in diesem Fall überhaupt nicht auf. Auch aus eigener leidvoller Erfahrung durfte ich das feststellen. Bereits zur frühen Stunde versammelten sich tausende FCZ-Anhänger (davon sicher 95% im ausgerufenen weißen Dresscode) in einem Park unweit des Hauptbahnhofes. Von dort aus setzte sich der doch sehr eindrucksvolle Marsch Richtung Stadion in Bewegung. Auffallend gegenüber 2014 war ganz klar, dass vor allem zu Beginn das Aggressionspotential deutlich geringer war. Nur vereinzelte erblickte man Vermummte und auch diese waren eher Jugendliche, anstatt richtiger „Hauer“. Die Sachbeschädigungen hielten sich ebenfalls stark in Grenzen. Der gesamte Marsch zog sich über knapp neunzig Minuten und wurde über die gesamte Dauer von massivem Böller-, Rauchdosen- und Pyroeinsatz begleitet. Auf meinen Reisen habe ich ja schon einiges gesehen, aber diese geballte Masse an unterschiedlichen pyrotechnischen Erzeugnissen war mir bis dahin auch noch nicht untergekommen. Vor allem der Weg über die große Stadtbrücke über die Aare war ein imposantes Bild. Die Route führte durch die unterschiedlichsten Berner Stadtviertel und es war auch für mich – da ich bisher nur die Altstadt näher kannte – wirklich spannend zu erleben, wie vielfältig und alternativ sich einige Stadtteile präsentierten. Einige “Hippie-Kommunen“ wurden kurz vor 12:00 Uhr Mittag durch den Lärum aus ihren Träumen gerissen.

Wie schnell die Stimmung kippen kann, zeigte sich auf der zweiten Marschhälfte.

Immer wieder interessant zu beobachten ist, dass Schweizer Fanmärsche traditionell von sehr wenig Polizei begleitet werden. Kein Polizeikessel, keine Kampfmonturen, sondern zurückhaltende Präsenz an Kreuzungen oder anderen neuralgischen Punkten. Aus eigener Erfahrung kenne ich das vor allem in Deutschland oder bei Zugfahrten mit Sturm nach Wien definitiv anders. Wie schnell jedoch die Stimmung dank so großer „Freiheiten“ kippen kann, zeigte sich auf der zweiten Marschhälfte. Schaulustige, die von ihren Balkonen aus Aufnahmen machten, wurden mit Dosen, Flaschen und anderen Gegenständen beworfen, einzelne Chaoten kletterten auf Balkone oder in Gärten, um YB-Fahnen zu erbeuten, bei einer Tankstelle wurden Alkoholika im Wert von mehreren tausend Franken geplündert und Wände sowie einzelne Fahrzeuge mit Farbe zugesprayt. Völlig überflüssig waren zusätzlich die heftigen Böller, die teilweise in der Menge gezündet wurden (es gab mehrere Verletzte mit Hörtraumata). Umso erstaunlicher, dass die Berner Verantwortlichen von einem „gesitteten“ Marsch sprachen. Die direkte Begleitung des Corteos durch die Putzkolonne war wiederum typisch Schweiz. Die Young Boys ließen es sich natürlich ebenfalls nicht nehmen, in der eigenen Stadt einen Marsch zu organisieren. Mit massig Rauch und Getöse zogen sie zum Stadion. Die Trennung der Fans funktionierte in diesem Jahr ausgezeichnet, an beiden Marschrouten kam es zu zu keinerlei Kontakt zwischen den Blöcken. Am Bundesplatz gab es zusätzlich ein großes Public Viewing.

Im Stadion zeigte sich erwartungsgemäß ein gelbes Übergewicht (ein Verhältnis von ca. 60 zu 40), der ausgerufene Dresscode auf beiden Seiten ließ optisch eine hervorragende Trennung beider Seiten zu. Einige wenige Gelbgekleidete mit Tickets im Bereich der Zürcher wurden schon lange vor Spielbeginn teils recht unsanft von ihren Plätze verwiesen. Soviel Weitblick sollte der geneigte Zuschauer aber eigentlich auch selbst besitzen, das Mitleid hält sich deshalb in Grenzen.

Die Berner zeigten zu Beginn eine sehr aufwändige Choreo mit unterschiedlichsten Elementen in Anlehnung an Jules Vernes „In 80 Tagen um die Welt“. Über den gesamten Unterrang hing ein Spruchband mit dem Motto  „I 289 Täg zum Cupsieg“. Seitlich davon wurden einzelne Elemente mit abgewandelten Motiven aus dem Film an Seilen hochgezogen. Daneben gab es einen Heißluftballon, der aus dem Block emporstieg und den Pokal hochzog. Im Oberrang wurden zeitgleich fünf Überziehfahnen präsentiert, welche die einzelnen Stationen bis zum Finale thematisierten. Top Idee und perfekte Umsetzung! In Sachen Stimmung schaffte es die Berner Ostkurve (unterstützt durch Freunde aus Darmstadt und Laibach) aber leider selten, die große Masse an „Eventfans“ zum gemeinsamen Support zu motivieren. Ausser bei den „Hopp YB“ Wechselgesängen war oftmals nur die Hälfte der Hintertortribüne an der gesanglichen Unterstützung interessiert. Dafür wurde optisch durchgehend etwas geboten. Einerseits war natürlich alleine die gelbe Wand eindrucksvoll, andererseits waren im Mittelblock immerzu Doppelhalter, Fahnen und verschiedenste Pyroelemente zu sehen.

Gewinnt das Finale, kommt heim und lasst euch feiern!

Die Zürcher Südkurve (wo auch ganz klar meine Sympathien in der Schweiz liegen) zeigte im Oberrang eine für einen Auswärtsauftritt ebenfalls schöne optische Aktion. Auf einem riesigen Spruchband mit FCZ-Schriftzug waren verschiedenste Personen (Fans & Spieler) abgebildet, dazu viele blau-weiße Fahnen, goldene Schnipsel und massig Pyro und Rauch. Gehalten wurde die gesamte Konstruktion von zahlreichen Holzlatten. Die Frage, wer so etwas heutzutage in einem Stadion erlaubt, muss an der Stelle offen bleiben. Zum Glück kamen diese Latten jedoch nicht anderweitig in Verwendung. Über dem gesamten Unterrang hing der Spruch „Günned de Final, chömed hei und lönd oi fiire!“ („Gewinnt das Finale, kommt heim und lasst euch feiern“) in Anlehnung an das Spruchband aus dem Finale 2016 („Günned de Final, gönd hei und schämed oi wiiter!“- „Gewinnt das Finale, geht heim und schämt euch weiter!”), welches im heimischen Stadion ausgetragen wurde. Damals stieg der FCZ aus der Super League ab, holte jedoch den Pokal und spielte skurriler Weise als Zweitligist in der Gruppenphase der Europa League. Auch in diesem Jahr zeigte sich Ähnliches, der FCZ erreichte als Wiederaufsteiger den vierten Platz und spielt als Cupsieger nächstes Jahr wieder europäisch.

Über die gesamte Spieldauer waren die typischen Chants aus Südkurven (eher lange, textlastige und melodische Lieder) zu vernehmen, wodurch nicht immer eine gewaltige Lautstärke erreicht wurde. Aber dank grandioser Akustik und viel größerer Beteiligung als im heimischen Letzigrund war der Auftritt sehr gut. Vor allem nach den Toren waren die Gesänge wahnsinnig intensiv. Man merkte, dass hier das „Stammpublikum“ anwesend war, was man auch an der sehr hohen Mitmachquote deutlich sehen konnte. Dazu waren, wie könnte es auch anders sein, über die gesamten neunzig Minuten unzählige Fahnen und bengalische Lichter im Einsatz. Oh, du liebe Schweiz – mein Pyro-Schlaraffenland! Die wiederholten Böllerwürfe (einer davon nahe am YB Goali) nervten allerdings gewaltig.

Bierduschen inklusive…

Am Spielfeld selbst sah man ein sehr rassiges, hitziges und emotionales Spiel. Wie es sich für ein Finale gehört, gab es einige Rudelbildungen am Platz und darauffolgenden Unmutsbekundungen zwischen Gästebereich und den angrenzenden Bernern, Bierduschen inklusive. Nach dem Spiel blieb alles erstaunlich ruhig und gelassen. Kein versuchter Platzsturm und auch die YB-Kurve störte die feiernden Zürcher nicht. Unterdessen huldigte man lieber nochmals seine Meistertruppe, die trotz des verlorenen Finales eine grandiose Saison spielte. Auch der Abzug aus dem Stadion und der nun kurze Weg zum direkt am Stadion gelegenen Bahnhof Bern Wankdorf verlief geordnet. Die Heimreise im Extrazug brachte nicht mehr viel Erwähnenswertes, einzig beim Einsteigen in die Waggons spielten sich teilweise verrückte Szenen ab. Beispielsweise “betrat” ein Herr den noch rollenden Zug per Köpfler durch das Fenster, nach Stillstand kletterten dutzende Leute dann durch eben dieses. Hier wurde einem wieder einmal bewusst, dass die Zürcher Fankurve ein nicht zu übersehendes Problem mit Teilen ihrer Mitglieder hat.

Im Nachgang zum Endspiel in Zürich gab es schließlich noch einen Aufreger in den lokalen Boulevardmedien. Zwei vermummte Spieler des FCZ hatten während der Pokalparty am Balkon Pyros entfacht und die Staatsanwaltschaft daraufhin Ermittlungen eingeleitet. Eine Randnotiz zum Abschluss eines genialen Pokalsonntags, der meine hohen Erwartungen sogar noch übertreffen konnte.

 

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