Rot ist meine Lieblingsfarbe, das war sie eigentlich immer schon. T-Shirts, Schuhe, Einrichtungsgegenstände, Autos oder was auch immer – am liebsten alles in diesem Ton. Nicht Aggressivität oder Gefahr verbinde ich damit, sondern vielmehr Liebe, Leidenschaft und Temperament. Auch mein absoluter Lieblingsclub präsentiert sich in der Regel ganz in Rot, für das Bekenntnis zu den Reds vom FC Liverpool war aber zugegebenermaßen nicht die Farbe der Trikots ausschlaggebend.
Im heimischen Fussball hingegen konnte ich mit “den Roten” nie etwas anfangen. In den 1990er-Jahren im Herzen der Oststeiermark sportlich sozialisiert, gab es in meinem Umfeld fast ausschließlich Fans des SK Sturm Graz, schwarz-weiß waren die dominierenden Farben. Die Stadtderbys gegen den GAK genossen Kultstatus und waren Highlights im Bundesligazyklus. Anhänger des Athletiksport Klubs für suspekt zu halten, gehörte sozusagen zum guten Ton. Am Dorfplatz oder im Wirtshaus bekamen sie regelmäßig blöde Sprüche serviert, vor diesen besonderen Spielen sowieso. Auch wenn ich mich nicht als glühenden Fan bezeichnen würde, haben Kindheit und Jugend doch ihre Spuren hinterlassen. Die Sympathien sind klar verteilt, ich leide nach wie vor mit dem 1909 gegründeten “Arbeiterverein”. Mein letzter Besuch “Am Kickplatz” jenseits des Profibetriebs erhält dadurch eine besondere Note, die für alle orthodoxen “Schwoazen” wohl als Sakrileg gilt: Begleitet von Podcastliebling Adelmaier schaute ich Ende September dem GAK 1902 bei seinem anhaltenden Marsch durch die Institutionen auf die Beine, auswärts ging es gegen den SC ELIN WEIZ.
Totgegeglaubte leben länger.
Unter Fussballfreunden ist das Schicksal der Grazer Athletiker ja allgemein bekannt. Nach großen sportlichen Erfolgen Anfang der Nullerjahre (Cupsieger 2000 und 2002, Meister und Cupsieger 2004, zudem beachtliche internationale Auftritte) musste aufgrund von Missmanagement und massiver Verschuldung zwischen 2007 und 2012 insgesamt viermal Konkurs angemeldet werden. Konnte man bei den ersten drei Verfahren mittels Zwangsausgleich in wirtschaftlicher Hinsicht zumindest noch irgendwie die Kurve kratzen – aus sportlicher Sicht war man nach Lizenzverweigerung und Zwangsabstieg ohnehin schwer angeschlagen – war 2012 der vorläufige Schlusspunkt dieser jahrelangen Misere erreicht. Nach eingebrachtem Schließungsantrag war für die Fussballsektion des 1902 gegründeten Grazer Athletiksport Klub das vermeintliche Ende gekommen. Totgeglaubte leben bekanntlich aber länger. Schon im Dezember desselben Jahres gründeten einige unermüdliche Vereinsmitglieder mit dem GAC (Grazer Allgemeiner Club für Fussball) einen neuen Verein, der wieder ganz von vorne begann. In der Saison 2013/2014 startete der Club den Spielbetrieb in der niedrigsten Spielklasse des steirischen Landesverbands. Seither hat die Geschichte des mittlerweile wieder in den Stammverein eingegliederten und seinen ursprünglich Namen tragenden GAK 1902 weit über die Statdtgrenzen hinaus für Aufsehen gesorgt. Fünfmal holte man sich en suite den Meistertitel und stieg damit bis in die Regionalliga Mitte auf, in der man langsam aber sicher wieder an die Türen des Profifussballs zu klopfen gedenkt. Auch wenn es von Sturms organisierter Fanszene nicht als solches anerkannt wird (“Wann Derby ist, bestimmen wir”), gibt es diese Saison also wieder ein brisantes Aufeinandertreffen zwischen dem GAK und Sturms zweiter Mannschaft. Das Hinspiel davon entschied der GAK mit 3:2 für sich, für traurige Schlagzeilen abseits des Rasens sorgten Fanausschreitungen in der Innenstadt.
Mit 17 hat man noch Träume.
Dieses Mal sogar pünktlich und nicht eine ganze Halbzeit zu spät wie bei anderen Fahrten in die Peripherie, erreichten wir das herbstliche Weiz. Eine kühle Brise in Kombination mit regenschweren Wolken bescherte uns eine beinahe britische Atmosphäre. Der Fußweg vom Parkplatz Richtung Stadion führte Adelmaier und mich vorbei am Schulzentrum, das wir jahrelang gemeinsam besuchten und uns mit 19 Jahren Reife attestierte. Einvernehmlich sprachen wir unsere Verwunderung darüber aus, was man dort nicht alles irgendwann einmal gehört und gelernt hatte, um es dann wenig später in adoleszenter Ignoranz auf den geistigen Friedhof zu verbannen. “Mit 17 hat man noch Träume” sang Peggy March einst in ihrem Schlagerklassiker. Ja eh, aber halt auch ein ordentliches Brett vor dem Kopf.
Ein völlig affiges Theater…
Mangels Platzangebots auf der Haupttribüne landeten wir nicht ganz absichtlich im Gästesektor des gut gefüllten Siemens Energy Stadion. Bei über 2.000 Besucherinnen und Besuchern waren Kulisse und Atmosphäre zwar ordentlich (trostlose Bundesligabegegnungen à la Mattersburg vs. St. Pölten könnten sich da durchaus eine Scheibe abschneiden), das Aggressionslevel rundherum aber ebenso. Egal in welchem Land, welchem Stadion und in welcher Liga, damit komme ich nirgends gut klar. Viele Dinge gibt es ja nicht gerade, die mich am Fussball stören, gewaltbereite Typen, die im Umfeld eines Spiels nur Stress und Prügel suchen (O-Ton: “In Weiz hot’s no immer klescht”), gehören aber definitiv dazu. Solche Ikonen der Schöpfung waren auch während dieser Begegnung zu beobachten: Beliebig picken sie sich da jemanden von der gegnerischen Tribüne heraus, provozieren, pöbeln und fuchteln wild in der Gegend herum. Bei der geringsten Reaktion des Empfängers fühlen sie sich dann aber in ihrer ganz enormen Männlichkeit erschüttert, wollen die Barrikaden stürmen und dem “Feind” an die Gurgel. Ein völlig affiges Theater, das ich in der Regel mit einer Mischung aus Beklemmung und peinlicher Berührtheit mitansehe. Sollten wir Stammesrituale dieser Art nicht irgendwie hinter uns haben?
Leidenschaft und Temperament sind die Würze jedes Spiels
Die abgeklärten Herren von der Exekutive hatten in dem Fall zwar alles im Griff, gut beschäftigt waren sie dennoch. Klar sind Leidenschaft und Temperament die Würze eines jeden Spiels und der zwölfte Mann von zentraler Bedeutung. Was wäre denn ein Stadion ohne Begeisterung, ohne Gesänge, ohne Trommeln, Vereinsfarben und Choreographien? Einem Kontrahenten aber “Tod und Hass” zu wünschen (wie auf zahlreichen Aufklebern zu lesen), oder T-Shirts mit der Aufschrift “Against Tolerance” (auch wieder mal gesehen) zu tragen, sprengt doch alle Grenzen der Vernunft. Und mit Vernunft sind wir in unserer trumpisierten Fake-News-Bullshit-Bingo-Welt ohnehin nicht gerade gesegnet. Als wahrer Fussballfan – und davon gab es vor Ort genug, der Support für den GAK war enorm – kann man sich von solchen Dingen nur distanzieren, auch wird kein ernstzunehmender Verein solche Schwachsinnigkeiten als dankenswerte Unterstützung werten. Im Gegenteil: Gewalttätige Ausschreitungen oder sonstige Eskalationen sind für die Clubs eine enorme Belastung, sowohl was die Finanzen als auch das Image angeht. Während von der Gästetribüne “Spitzenreiter, Spitzenreiter, hey hey!” skandiert wurde, war der absolute Tiefpunkt dieser nachmittäglichen Szenen am Ende des Spiels die zum Hitlergruß erhobene Hand eines Anwesenden. Sicher wieder einer dieser Lausbubenstreiche, die man heute ja gerne so harmlos findet. Genau solche Personen sind es, die für Negativschlagzeilen sorgen, eine ganze Szene in Verruf bringen und im Stadion eigentlich nichts verloren haben.
Der Schiedsrichter entging der Lynchjustiz.
Zum Spiel an sich: Der GAK machte gegen Weiz das, was er in den letzten Jahren zur Gewohnheit werden ließ, nämlich gewinnen. Auch wenn die Roten nach dem Führungstreffer in der ersten Hälfte ziemlich untergetaucht waren und die Heimmannschaft während der gesamten zweiten Halbzeit mit kontinuierlichen Sturmläufen über die linke Seite am Ausgleich arbeitete, wollte sich im Zentrum der Weizer einfach niemand finden, um die Hereingaben zu verwerten. So mancher Ball wurde geschätzte zehn Meter über das Tor und hinaus aus dem Stadion befördert. Für einen Spannungsmoment sorgte in der 88. Minute noch der Schiedsrichter, der mit seiner ungewöhnlichen Entscheidung auf jeden Fall Mut bewies. Der Regel nach darf sich ein Torwart mit dem Ball in der Hand sechs Sekunden für einen Ausschuss Zeit lassen, nur selten wird sich daran gehalten (laut Statistiken vergehen in der Champions League durchschnittlich sogar zwölf Sekunden). Noch seltener wird jedoch eine Zeitüberschreitung dieser Regel geahndet, schon gar nicht zu so einem späten Zeitpunkt und bei so einem Spielstand. Den Torwart des GAK ereilte dieses Schicksal, ungefähr acht Meter vor seinem Tor gab es einen indirekten Freistoß. Helfen sollte alles nichts, die Chance wurde vertan, der Schiedsrichter entging der Lynchjustiz und die Roten aus Graz konnten mit dem 1:0 Endstand wieder drei Punkte mit nach Hause nehmen.
Den Weg des GAK 1902 beobachten wir weiterhin gespannt, vielleicht gibt es in einigen Jahren ja tatsächlich eine Neuauflage des legendären Grazer Stadtderbys in der Bundesliga. Die steirischen Fussballfans träumen jedenfalls davon.