Viktoria Schnaderbeck
“Entweder Sport oder Familie”

Zwischen Weihnachten und Neujahr, in einem kleinen Pub nördlich von London: Das Spielfrei-Team darf nach rund eineinhalb Jahren zum zweiten Mal ÖFB-Teamkapitänin Viktoria Schnaderbeck zum Interview begrüßen. Die bald 28-Jährige ist zwar der Trikotfarbe Rot treu geblieben, hat jedoch im Sommer Stadt und Verein gewechselt – London anstelle von München, Arsenal anstelle des FC Bayern. Im ausführlichen Spielfrei-Interview spricht sie über ihr erstes halbes Jahr in der britischen Hauptstadt, über das Vermächtnis der erfolgreichen EM 2017 sowie über das Spannungsfeld zwischen Spitzensport und Familienplanung.

© Achim Seidnitzer


 

Weihnachten liegt schon wieder hinter uns. Wie hast du denn die Feiertage verbracht?
Ich hab‘ einen kurzen Weihnachtsstopp in Österreich eingelegt und war für knapp eine Woche zu Hause. Ich hab‘ dort viel Zeit mit meinen Freunden, meiner Familie und insbesondere mit meinem kleinen Neffen verbracht. Außerdem hab‘ ich mich in Graz mit meinen ehemaligen LUV-Mädels und in Wien mit Freundinnen aus der Nationalmannschaft getroffen. Ich hab‘ die Zeit also auf jeden Fall intensiv genutzt. Nach meiner Rückkehr nach London ist es aber gleich weitergegangen. Über Silvester haben wir zwar noch frei, aber ich werde die Zeit hier in London verbringen.

Bist du als Profisportlerin die Weihnachtsfeiertage besonders bewusst angegangen?
Ja, schon. Wir haben einen Trainingsplan bekommen und dieses Programm hab‘ ich auch durchgezogen. Das ist für mich aber nichts Ungewöhnliches, sondern der Standard. Es ist einfach  wichtig, dranzubleiben, weil wir ja auch den Winter durchspielen. Man darf jedenfalls nicht in ein Loch fallen.

Im Sommer bist du nach rund 11 Jahren in München hierher nach London gewechselt. Wie gut hast du dich schon in der Stadt einleben können?
Ich hab‘ mich bis jetzt sehr gut in London einleben können. Ich wohne allerdings nördlich von London in St. Albans. Das ist eine kleine, sehr schöne und nette Stadt, die alles hat, was man für den Alltag braucht. St. Albans ist aber natürlich kein Vergleich zu London. Die Dynamik von London ist jedenfalls beeindruckend. Die Stadt steht einfach nie still und es gibt immer neue Eindrücke. Der erste Sommer in London war dann schon beinahe überfordernd, aber ich hab‘ versucht, soviel wie möglich aufzusaugen. Ich möchte möglichst viel von der Kultur und vom Leben hier mitnehmen. Ich fühl‘ mich bisher richtig wohl, und das, obwohl es sportlich bisher nicht optimal gelaufen ist.

Warum St. Albans und nicht London?
Das hat den einfachen Grund, dass unser Trainingszentrum gleich hier in der Gegend liegt. Dort sind sowohl die Männer- als auch die Frauenmannschaften von Arsenal untergebracht. Auch der Austragungsort unserer Heimspiele liegt nur 15 Minuten vom Trainingszentrum entfernt. Eigentlich machen es alle Spielerinnen gleich und leben hier in St. Albans. Vor allem für die Anfangszeit war das auch optimal für mich. Von London zu pendeln wäre einfach ein zu großer Mehraufwand.

Wie fällt dein direkter Vergleich der Städte London und München aus?
In München hab‘ ich nach 11 Jahren die Gassen, Kaffees und Restaurants fast schon auswendig gekannt. In London wird das nie passieren. Allein die Größe der Stadt ist schon mal so ein riesiger Unterschied. Ich geh‘ auch allgemein ganz anders an die Stadt heran. In London versuche ich, möglichst viel von der Stadt mitzukriegen und viel zu erkunden. Ich bekomm‘ auch sehr viel Besuch von Freunden und Familie. In München war ich quasi schon ein „Urgestein“, das seit 11 Jahren dort lebt. In London bin ich einfach noch „die Neue“. Es ist auch eine interessante Erfahrung, die “Ausländerin“ zu sein. Es ist definitiv etwas Anderes, aber ich genieße auch das. Als ich die Entscheidung traf, nach London zu gehen, wusste ich, dass es der richtige Schritt ist. Und genau so fühlt es sich jetzt auch an. Es ist einfach ein Gesamtpaket und ein Gefühl. Und das stimmt hier auf jeden Fall.

Gab’s neben Arsenal mehrere Alternativen für dich?
Arsenal war schon zu einem frühen Zeitpunkt sehr bemüht um mich. Außerdem hatte ich immer schon großes Interesse an der englischen Liga. Darüber habe ich auch sehr offen mit meinem Berater gesprochen. Für ihn wären auch andere Ligen in Frage gekommen. Nachdem es mit Arsenal aber immer konkreter wurde, wollte ich einfach nicht pokern. Für mich fühlte es sich von Anfang sehr gut an und diesem Gefühl wollte ich vertrauen. Deshalb hab‘ ich mir auch keine weiteren Option mehr so genau angesehen.

In England stehen das Tempo und der Unterhaltungswert im Vordergrund.

Du spielst beim Nonplusultra des englischen Frauenfussballs. Arsenal ist unter anderem Rekordmeister und -pokalsieger im englischen Frauenfussball. Wie schwer oder einfach war es, sich beim Verein zurecht zu finden?
Man spürt, dass dem Verein eine große Geschichte zugrunde liegt. Obwohl in den letzten Jahren die großen Erfolge ausblieben, spürt man deutlich, dass man unbedingt wieder an diese erfolgreichen Jahre anknüpfen will. Das ist klar das Ziel des Clubs. Es herrscht ein gesunder Druck, finde ich. Gleichzeitig bin ich aber auch sehr herzlich und familiär aufgenommen worden. Wir haben einen sehr kleinen Kader (19 Profispielerinnen, Anm.), das macht alles sehr persönlich und alle gehen offen aufeinander zu. Das schätze ich sehr, denn ich sehe mich selbst auch als sehr sozialen und offenen Typen. Ich hab‘ mich im Umfeld einfach schnell wohlgefühlt.

Natürlich war die Verletzung zu Saisonbeginn sehr bitter. Leider konnte ich noch kein Pflichtspiel für Arsenal absolvieren. Was mir trotzdem ein gutes Gefühl gibt: Ich war zumindest die ersten Wochen im Training dabei. Ich hab‘ mit den Mädels trainieren können und auch ein Gespür für die Trainingsintensität und die Arbeitsweise des Trainers bekommen. Ich konnte ein paar Freundschaftsspiele absolvieren, was natürlich hilft, schnell ein Teil der Mannschaft zu werden. Das war natürlich auch für meine Motivation sehr wichtig.

Was zeichnet die Spielweise im englischen Frauenfussball aus?
Ich hab‘ schon oft darüber nachgedacht. Es ist ähnlich wie im Männerfussball. Das Spiel ist temporeicher und für mich einfach unterhaltsamer. Es ist ein ständiges Hin und Her. Unser Spiel ist dabei aber definitiv kein Kick and Rush, sondern sehr stark auf den Ballbesitz ausgerichtet. Es entspricht sehr meiner Vorstellung von einem optimalen Spiel: Es ist temporeich und mit sehr viel Ballbesitz. Hier unterscheiden wir uns sicher von den anderen Mannschaften der Liga. Was mir als Defensivspielerin allerdings auffällt, ist, dass sowohl die Individual- als auch die Mannschaftstaktik in Deutschland noch stärker ausgeprägt war. In Deutschland ist es sehr stark darum gegangen, hinten nichts zuzulassen. Das Spiel war sehr taktisch geprägt mit laufenden kleinen Umstellungen. In England stehen das Tempo und der Unterhaltungswert im Vordergrund.

Was unterscheidet Arsenal von deinem alten Verein, dem FC Bayern?
Bei Arsenal wird meiner Meinung nach noch stärker auf die Grundphysis geachtet. Das Krafttraining ist hier schon länger auf sehr hohem Niveau. Das gilt nicht nur für den Männerfussball, sondern auch für den Frauen- und insbesondere für den Nachwuchsfussball. Hier gibt es sicher Unterschiede zum FC Bayern und zur deutschen Liga im Allgemeinen. Wobei man fairerweise auch sagen muss, dass wir beim FC Bayern in den letzten Jahren sehr große Erfolge hatten. Die Qualität im Kader, inbesondere zum Schluss hin, war sehr hoch. Der Kader war außerdem auch größer.

Du hast die Kadergröße bei Arsenal schon angesprochen. Lediglich 19 Profis stehen im Kader. Welcher Plan wird hier verfolgt?
Unser Trainer setzt bewusst auf einen kleinen Kader. Dieser Aspekt ist ihm für diese Saison wichtig. Es ist uns natürlich aber auch allen bewusst, dass der Kader zu klein sein wird, sollten wir uns für die Champions League qualifizieren. Aber auch in dieser Saison, ohne Champions League, wissen wir, dass der Kader sehr klein ist. Und dann kommt auch noch die ein oder andere Verletzung dazu. Das können wir bis jetzt aber sehr gut durch den Nachwuchs ausgleichen. Der Trainer greift immer wieder auf unsere Akademie-Spielerinnen zurück, was für deren Entwicklung natürlich optimal ist. Alleine fünf Akademie-Spielerinnen konnten noch vor Weihnachten ihr Debüt feiern. Wenn wir aber auch international um die Titel mitspielen wollen, werden wir natürlich den Kader noch vergrößern müssen. Hier ist der Verein aber auch sehr bedacht, wenn es beispielsweise um die Planung der nächsten Saison geht.


© Achim Seidnitzer
 

Aus aktueller Sicht dürfte der Einzug in die Champions League in der nächsten Saison klappen. Ihr führt die Tabelle der Women’s Super League bisher souverän an: 9 Siege in 10 Spielen und ein beeindruckendes Torverhältnis von 42:7 Toren. Wie schätzt du die bisherige Saison ein?
Für mich persönlich war die Saison aufgrund meiner Verletzung natürlich etwas bitter. Ich hab‘ leider von draußen zuschauen müssen. Man sieht, dass die Mädels richtig guten Fussball spielen und da würde man natürlich am liebsten selbst am Platz stehen. Gleichzeitig ist es aber auch die Motivation, hier unbedingt dabei sein zu wollen. Ich fühle mich auf jeden Fall als Teil der Mannschaft und es ist auch eine Rolle für mich vorgesehen.

War es wieder das rechte Knie, das dich ausfallen hat lassen?
Ja, genau. Es ist leider eine Knorpelverletzung aufgetreten, was für mich auch neu war. Bei der Heilung der Verletzung geht es sehr stark um die Belastungssteuerung. Es muss die richtige Dosis in der Reha gewählt werden. Ich spüre aber, dass der Verein hier sehr bemüht ist und auch sehr stark auf mich eingeht. Letztendlich muss ich einfach lernen, geduldig zu sein und auf mein Knie zu hören. Mehr als je zuvor.

Wieviel trennt dich noch von deinem Pflichtspieldebüt?
Gefühlt bin ich ungefähr bei der Hälfte. Ich bin kurz davor, wieder mit dem Laufen zu beginnen und bald steht auch eine weitere Untersuchung an. Etwas Zeit werde ich schon noch brauchen. Für mich ist wichtig, die Schritte konsequent und vernünftig zu gehen. Hauruck-Aktionen machen jetzt keinen Sinn, sondern bringen eher die Gefahr mit sich, dass ich wieder zurückgeworfen werde.

Wie gehst du mental mit solchen Verletzungen und Rückschlägen um?
Zu Beginn war es schon sehr schwierig. Ich hab‘ mich angekommen und richtig gut gefühlt. Ich war fit und hab‘ die neuen Eindrücke genossen. Und dann wird man durch die schwere Verletzung so brutal zurückgeworfen. Das ist der Moment, wenn man sich schon die Frage stellt: „Warum schon wieder ich!?“. Hier setzt auch eine Verzweiflung ein und ich musste die Emotionen auch einfach mal zulassen. Gleichzeitig war für mich aber auch klar: Ich will diese Reha bestmöglich angehen. Das bin ich nicht nur dem Verein, sondern auch mir selbst schuldig. Ich möchte einfach alles geben, was in meiner Macht liegt und versuche das Bestmögliche aus dieser Phase rauszuholen. Hier war es durchaus hilfreich, in einem neuen Umfeld zu sein. Es gibt einfach andere Impulse und auch die Trainingswissenschaft hat hier ihre eigenen Schwerpunkte. Auch die Unterstützung durch Freunde, Familie und den gesamten Verein, insbesondere in den ersten beiden Monaten, war unglaublich wertvoll. Dadurch wird man aufgefangen.

Nach diesen ersten Monaten: Wodurch unterscheiden sich die englische Super League und die deutsche Frauenbundesliga?
Die deutsche Liga ist seit vielen Jahren auf einem sehr hohen Niveau. Die Meisterschaft war meistens sehr eng und die deutschen Mannschaften waren immer auch in der Champions League erfolgreich vertreten. In England sieht die Situation etwas anders aus. Hier gab es Nachholbedarf. Es ist aber insbesondere in den vergangenen beiden Jahren sehr viel passiert, während das Niveau in Deutschland – weil es eben schon so hoch ist – langsamer zunimmt. In England hat vor einem Jahr eine komplette Umstrukturierung des Frauenfussballs stattgefunden und es gibt mittlerweile sehr strenge Auflagen für die Vereine. Sie müssen allesamt über eine Akademie verfügen und alle Spielerinnen müssen gleichzeitig auch Profis sein. Dadurch waren die Vereine natürlich auch sehr gefordert. Diese Maßnahmen haben schnell gefruchtet. Chelsea und Manchester City haben in der vergangenen Champions League Saison sehr starke Leistungen gezeigt. Man merkt, dass der Verband – die FA – hier sehr ambitioniert ist und auch viel Geld durch die Vereine investiert wird.

Wir müssen einfach dranbleiben und uns ständig verbessern wollen.

Am 12. Mai findet das letzte Spiel der Saison statt und es geht ausgerechnet gegen den Tabellenzweiten Manchester City. Wie schätzt du das Rennen um die Meisterschaft ein?
Ich glaube, dass wir aktuell verdient an der Tabellenspitze stehen. Wir hatten einen sehr guten Start in die Saison, sind aber hinten raus dann sicher nicht mehr ganz so souverän aufgetreten. Was sicher auch mit Verletzungen zusammenhängt. Chelsea und Manchester City sind etwas holprig in die Saison gestartet. Die Rückrunde wird jedenfalls äußerst schwierig. Wir haben zwei Neuverpflichtungen getätigt, was die Kader- und Verletzungssituation etwas entschärft. Außerdem kennen die anderen Mannschaften uns und unseren Spielstil mittlerweile besser und können sich dadurch auch besser auf uns einstellen. Chelsea und Manchester City werden uns jagen und ich gehe davon aus, dass es zum Saisonende hin sehr knapp zugehen wird. Letztendlich wird sich jene Mannschaft durchsetzen, die über die nötige Stabilität verfügt. Hier wird sich zeigen, ob wir schon soweit sind. Wir müssen einfach dranbleiben und uns ständig verbessern wollen. Wir müssen versuchen, unsere Inhalte umzusetzen, denn damit sind wir schon die gesamte Saison sehr gut gefahren.

Dein Ziel ist es aber, noch in dieser Saison auf dem Platz zu stehen?
Auf jeden Fall! Ich möchte mir keinen zu großen zeitlichen Druck auferlegen, aber ja, das ist das klare Ziel.

Kannst du dir vorstellen, über deinen bis Sommer 2020 laufenden Vertrag hinaus in England zu bleiben?
Ja. Voraussetzung ist aber natürlich, dass die Gesundheit mitspielt. Ich bin generell kein Wandervogel. Wenn das Gefühl gut ist, dann muss ich nicht dringend was daran verändern.

Blicken wir kurz auf Österreich und die Nationalmannschaft. Hinter euch liegt eine starke WM-Qualifikation, bei der es trotz sehr guter Spiele leider nicht für die WM-Teilnahme gereicht hat. Welches Resümee ziehst du nach der WM-Qualifikation?
Ganz neutral und nüchtern betrachtet, war die Qualifikation eine gute. Wir haben Finnland souverän hinter uns gelassen, was vor ein paar Jahren noch weniger wahrscheinlich gewesen wäre. Trotzdem hatten wir uns natürlich andere Ergebnisse erhofft. Vor allem in unseren Heimspielen gegen Spanien und Serbien haben wir leider Punkte liegen gelassen. Hier wäre einfach mehr drinnen gewesen. Ich glaube aber, dass wir in unserer Entwicklung weiter sind als es die Ergebnisse vielleicht gezeigt haben.

Seit unserem letzten Interview sind mittlerweile rund eineinhalb Jahre vergangen. Eineinhalb Jahre, in denen der große Hype, den ihr rund um die EM 2017 zurecht entfacht habt, auch wieder abgeklungen ist. Was ist davon für dich noch übrig geblieben?
Fakt ist, dass die Wahrnehmung und Wertschätzung dem Frauenfussball gegenüber gestiegen ist. Das ist nach wie vor so. Es gibt bestimmt weiterhin viele, die den Frauenfussball nicht beachten. Aber das Belächeln des Frauenfussballs ist weniger geworden. Als Fussballerin werden wir mittlerweile ernst genommen. Die Medien haben rund um die EM natürlich sehr viel über uns berichtet. Diese Berichterstattung ist auch weiterhin geblieben. Es gab zahlreiche ORF Spiele und Zeitungsberichte. Hätten wir uns jetzt für die WM qualifiziert, wäre es womöglich so weitergegangen, aber hier ist leider der letzte Erfolg ausgeblieben. Auch innerhalb des ÖFB werden viele Themen rund um den Frauenfussball mittlerweile selbstverständlicher gesehen. Der Schub im Nachwuchsfussball bei den Mädchen hat im Laufe der Zeit natürlich wieder etwas abgeflaut, aber es hat sicher eine nachhaltige Steigerung in der Wahrnehmung gegeben. Um langfristig viele junge Mädchen für den Fussball zu begeistern, reicht die Medienpräsenz natürlich nicht aus. Hier wird es vor allem für die Vereine und Verbände zukünftig wichtig sein, für Mädchen ein großes Angebot zu bieten.

Wie schätzt du die Entwicklung des Nationalteams seit der EM 2017 ein?
Wir sind einen nächsten Schritt in unserer Entwicklung gegangen und haben uns vor allem die Frage gestellt, wie wir uns als Mannschaft definieren wollen und welche Spielphilosophie wir verfolgen wollen. Beim Spielstil sind wir einfach vielfältiger geworden und wir haben viele verschiedene Elemente ausprobiert. Den Grundstein für die kommenden Jahre haben wir auf jeden Fall gelegt. Es gibt eine klare Spielidee und wir verfolgen auch nicht mehr nur die – wenn auch sehr erfolgreiche – Taktik von der EM 2017, wo es vor allem darum ging, die zweiten Bälle zu gewinnen. Wir sind in unserem Spiel facettenreicher geworden und hoffen, dass wir das in der nächsten EM-Qualifikation noch erfolgreicher umsetzen können.

Das klingt alles sehr positiv. Gibt es etwas, das sich in den letzten eineinhalb Jahren nicht optimal entwickelt hat?
Uns fehlt leider bis dato die Konstanz. Und Top-Mannschaften, die international erfolgreich sind, zeichnen sich einfach durch Konstanz und Erfahrung aus. Was die Erfahrung betrifft, hat uns die EM natürlich sehr viel gebracht. Außerdem müssen wir das, was wir gelernt haben, auch auf den Punkt abliefern können. Genau diesen Schritt müssen wir noch gehen. Der fehlt uns noch zu einer Top-Mannschaft.

Wie kann man diese Konstanz erreichen?
Letztendlich geht’s darum, dass jede Spielerin es gewohnt sein muss, auf hohem Niveau zu spielen. Dazu zählt einerseits die Eigenverantwortung jeder Spielerin, sich um die eigene Fitness zu kümmern. Andererseits müssen auch Vereine und Liga schauen, dass sie die Spielerinnen auf das höchstmögliche Niveau bringen. Und dann spielt es natürlich noch eine wichtige Rolle, dass wir als Mannschaft gemeinsam noch Erfahrungen sammeln.

Es ist äußerst schwierig, als Frau parallel zum Profisport eine Familie zu gründen.

Wir möchten uns auch noch einen kurzen Exkurs erlauben: Ein Thema, das im Frauen-Profisport zuletzt verstärkt diskutiert wurde, ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familienplanung. Serena Williams hat beispielsweise eine Babypause eingelegt, um anschließend ihre Karriere wieder fortzusetzen. Wie siehst du dieses Spannungsfeld zwischen Profisport und Familienplanung?
Ich glaube, dass es beispielsweise bei uns in der Mannschaft kein sehr großes Thema ist. Eine ehemalige Mitspielerin von mir ist vor der EM 2017 schwanger geworden und hat jetzt nach einer Pause ihre Karriere wieder fortgesetzt. Generell glaube ich, dass es hier unterschiedliche Herangehensweisen gibt: Zum einen gibt es diejenigen, die diesen Schritt sehr bewusst planen und nach einer Unterbrechung ihre Karriere wieder fortsetzen. Zum anderen sind dann aber auch jene, die nach der Babypause gar nicht mehr in den Profisport zurückkehren. Und dann gibt es drittens noch jene, die sagen, dass sie bis Ende 20, Anfang 30 spielen wollen, dann aufhören und die Familienplanung starten. Ich glaube, dass der dritte Fall der häufigste ist. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass man einen gewissen Plan für sich entwickelt und nach dem Fussball die Familien- oder Berufskarriere startet. Fakt für mich ist, dass es äußerst schwierig ist, als Frau parallel zum Profisport eine Familie zu gründen. Hier bedarf es zumindest einer Pause. Dessen muss man sich einfach bewusst sein. Bei uns Frauen ist es ein klares „Entweder Oder“ und Sport und Familie können nicht so einfach wie bei den Männern parallel vorangetrieben werden.

Zu guter Letzt noch ein Blick nach vorne. Du bist Kapitänin des Nationalteams, hast jahrelang beim FC Bayern München gespielt und bist jetzt zum englischen Rekordmeister gewechselt. Welche Ziele hat sich die Spielerin Viktoria Schnaderbeck noch gesteckt?
Ein großes Ziel von mir ist natürlich noch der Gewinn der Champions League. Aber zunächst geht es mir einmal darum, für Arsenal auflaufen zu können. Ich möchte in England Titel gewinnen. Wenn wir uns mit dieser Mannschaft weiterentwickeln, dann glaube ich wirklich daran, dass sowohl national als auch international für uns noch einiges möglich ist. Aber letztendlich möchte ich einfach ein Teil einer Entwicklung sein, die nachhaltig und sinnvoll ist. Das ist meine Philosophie. Viel weiter nach vorne denke ich im Moment eigentlich nicht. Ich weiß, dass ich schon einige Dinge erreichen konnte, was mir auch ein zufriedenstellendes Gefühl gibt, aber ich bin so ehrgeizig, dass ich immer noch mehr erreichen will. Mit der Nationalmannschaft möchte ich 2021 bei der Europameisterschaft in England spielen. Das hätte für mich persönlich eine große Bedeutung.

Und wenn dann der Moment mal kommen wird und du deine aktive Karriere beendest – wird es dich dann in die Heimat zurückziehen oder kannst du dir vorstellen, auch dauerhaft in einem anderen Land zu leben?
Schwierig zu sagen. Was ich jedenfalls weiß, ist, dass ich sehr mit meiner Heimat verbunden bin. Wenn die berufliche und private Situation passt, kann ich mir gut vorstellen, dass ich nach Österreich zurückkomme. Aber hier sind einfach noch so viele Dinge offen. Und diese Offenheit möchte ich mir auch beibehalten.

Vielen Dank für das Interview, Viktoria!

© Achim Seidnitzer

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